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Zur Geschichte des Sports in Neukalen (7)


Mario Heinzel

 

 

Radsport

 

   In unserer Reihe über die Geschichte des Sportes in Neukalen wenden wir uns dieses Mal dem Radsport zu. Dazu gehen wir zurück in das Jahr 1954. Der Begründer dieses Volkssportes in unserem Ort war Max Kohnke, ein ehemaliger Radrennfahrer. Er war als Vertriebener aus Stettin nach Neukalen gekommen. Von Beruf war er Maler und wohnte in der Straße der Freundschaft. Da er selber nicht mehr aktiv sein konnte, aber sehr an seinem Sport hing, versuchte er junge Leute für diese Art der sportlichen Betätigung zu begeistern. Bis auf die Dauerbrenner Fußball und Turnen hatte er keine ernsthafte Konkurrenz auf diesem Gebiet.

 

Max Kohnke vor dem I. Weltkrieg als Rennfahrer in Stettin

 

Max Kohnke vor dem II. Weltkrieg als Rennfahrer in Stettin

 

 

Max Kohnke

 

Max Kohnke

 

 

Horst und Max Kohnke

 

Horst und Max Kohnke

 

 

Pause

 

Pause

 

 

   „Spiker“ Ohlendorf, Wolfgang Wittenburg, Hartmut Kliem, Peter Rathfisch, Wolfgang Voth und Hans-Peter Zarembik bildeten die erste Trainingsgruppe (AK 14-16). Max sprach mit Ernst Fiedler und den anderen verantwortlichen Funktionären der BSG Traktor Lelkendorf. Diese hatten ein offenes Ohr und nahmen die Sektion Radsport in ihren Reihen auf. Sie ließen sich für ihre Verhältnisse auch nicht „lumpen“. Die BSG stellte die Erstausrüstung (Trikot und Hose) und versprach, für spätere Fahrten zu Rennen, einen Bus plus Fahrer (Enno Ludwigs) bereit zu stellen. Dieses war übrigens das einzige, was den Jungs „geschenkt“ wurde. Für alles andere mußten sie selber aufkommen; ob Verpflegung oder „rund ums“ Rennrad. Aber zu dem Thema kommen wir in diesem Bericht noch einmal. Sie hatten sich einen Sport ausgesucht, der nicht billig war und obendrein sehr zeitaufwendig, da der Trainingsaufwand enorm war. An Vorbildern mangelte es den Jungs schon damals nicht. Da war die Friedensfahrt, welche Millionen an die Straße und vor die Radiogeräte lockte. Allen voran deren Star, der neunfache Sportler des Jahres (1953 bis 1961) Gustav Adolf Schur.

 

   Am 1. Mai 1955 präsentierte sich die Sektion Jugend - Radsport der BSG Lelkendorf sowie alle anderen Sektionen und Vereine Neukalens zum großen Maiumzug auf dem Marktplatz in Neukalen. Der Markt war festlich geschmückt, und tausende Menschen säumten die Straßen des Ortes. Es war ein warmer Sonnabend. Einen Tag später gab es das legendäre Fußballspiel gegen Lok Prenzlau vor 1400 Zuschauern im Stadion an den Judentannen. Die Radsportler veranstalteten im Rahmen der Feierlichkeiten ein vereinsinternes Straßenrennen. Dazu hatte man sich die beste Straße der damaligen Zeit ausgesucht. Es ging nach Groß Markow und wieder zurück. Es gewann Wolfgang Wittenburg vor Peter Rathfisch.

 

 

1. Mai 1955

 

1. Mai 1955,
von links nach rechts: Wolfgang Wittenburg, "Spiker" Ohlendorf, Hartmut Kliem, Peter Rathfisch

 

 

   Das erste offizielle Rennen, am Kindertag (1.6.) des Jahres 1955, mit Teilnahme der Radler der BSG war in Stavenhagen. Gastgeber war Empor Stavenhagen, ein Verein der selber über eine gute Radsportabteilung verfügte.

   Der Ehrgeiz war geweckt. Es folgten Rennen hier und dort. Die guten Seelen der jungen Radsportler waren Max Kohnke und Hans Merz. Max als Trainer, Berater, rechte und linke Hand, und beide Hände zusammen brachten die größte Stärke von Max ans Tageslicht, die fast schon profimäßigen Massagen der „unteren Extremitäten“. Hans Merz hingegen war der Mechaniker der Truppe. Er brachte seine technischen Erfahrungen aus seiner aktiven Zeit als Radsportler mit, welche er frühzeitig aus gesundheitlichen Gründen beenden mußte. Sein wichtigstes Utensil war seine Werkzeugtasche, und zusammen mit seiner technischen Trickkiste konnte er aus so manchem „Drahtesel“ ein gut funktionierendes Rennrad fertigen und war somit, gerade in den Aufbaujahren, unentbehrlich für seine Truppe.

 

   Am 29.7.1956 ging es zum ersten großen Rennen, dem „2. Bäder - Straßen - Rennen“ auf der Insel Usedom, mit Start und Ziel im Seebad Ahlbeck. Die Teilnehmer dieser Rundfahrt kamen aus allen Teilen der Republik. Unter den 190 gemeldeten Fahrern in den vier Klassen befanden sich mit Peter Rathfisch, Hartmut Kliem und Wolfgang Voth (alle Jugend 14/16) auch drei Fahrer von Traktor Lelkendorf. Enno brachte die drei und ihre beiden Betreuer sicher auf die Insel. Übernachtet wurde in einem Waldstück nahe der Strecke. Geschlafen wurde auf dem LKW. Dazu wurden die Sitzbänke heraus genommen. Diese dienten gleich als Sitzmöglichkeit am mitgebrachten Klapptisch. Die sanitären Bedingungen entsprachen dem eines Zeltlagers der damaligen Zeit: rustikal und abhärtend. Über Nacht galt es, die Fahrräder entsprechend zu sichern. Dazu wurden diese zusammen mit den Bänken am LKW „angeseilt“ und mit Laubwerk „getarnt“.

   Am nächsten Morgen begann das Rennen. Die Jugend mußte eine Runde a 36 km fahren. Je höher das Alter, desto mehr Runden. So fuhr die Junioren - Leistungsklasse schon fünf Runden (180 km). Start und Ziel war in Ahlbeck am Sowjet - Ehrenmal in der Stalinstraße nahe dem Bahnhof. Es ging über Zirchow, Mellenthin, Pudagla, Bansin, Heringsdorf und wieder zurück. Besonders markant bei dieser Rundfahrt, und deshalb so in Erinnerung geblieben, war die zu Beginn jeder Runde kommende 6% Steigung namens „Korstwandter Berg“. Ein lang gezogener, zwischendurch auch sehr steiler Berg, der zur „Belohnung“ auch noch mit Kopfsteinpflaster belegt war. Hier trennte sich in jedem Rennen die „Spreu vom Weizen“. Peter Rathfisch hielt gut mit und belegte einen respektablen 8. Rang.

 

Tarnung der Fahrräder in Ahlbeck, 1956

 

Tarnung der Fahrräder in Ahlbeck, 1956

 

 

Sanitäre Einrichtung, Bäderrundfahrt 1956

 

Sanitäre Einrichtung, Bäderrundfahrt 1956,
Hans Merz, Max Kohnke, Hartmut Kliem

 

 

Bäderrundfahrt 1956

 

Bäderrundfahrt 1956,
von links: Hartmut Kliem, Max Kohnke, Peter Rathfisch,
Wolfgang Voth

 

 

   Bleiben wir zunächst bei diesem Rennen. Zwei Jahre später, bei der 4. Auflage der Bädertour, gab es die erste Begegnung mit aktuellen oder späteren Radgrößen der DDR. Peter und Wolfgang fuhren jetzt in der Altersklasse 16/18. In ihrem Feld befanden sich mit Klaus Ampler und Klaus Mayboom von Motor Rostock zwei absolute Spitzenfahrer des Jahrgangs. In der ersten Runde hielten sie noch das Hinterrad der genannten, doch als es das zweite Mal jenen „Korstwandter Berg“ hinauf ging, sahen sie diese nur noch von hinten. Ähnlich erging es ihnen bei der „Harzrundfahrt“ im gleichen Jahr. Hier waren die Berge noch höher, und so sahen sie die Herren Ampler und Mayboom noch öfter nur von hinten. An dieser Harzrundfahrt nahmen im Hauptrennen auch ihre langjährigen Idole und Vorbilder teil. Mit „Täve“ Schur und Bernhard Eckstein befanden sich zwei spätere Weltmeister im Feld. Schur holte sich 1958 und 1959 den Titel. Eckstein gewann ein Jahr später auf dem Sachsenring. Auch andere Größen wie Egon Adler sahen sie live. Weitere zwei Jahre später gab es bei der Ostseerundfahrt 1960 ein erneutes Aufeinandertreffen, aber dazu später mehr.

   Peter holte sich mit vielen Jahren Verspätung seine Erinnerungsautogramme. 1997 traf er Täve Schur, der als Schirmherr des Lichterfestes in unserem Landkreis weilte, und ließ sich einen Spruch und gute Wünsche auf das Programmheft jener Harzrundfahrt schreiben. Bei der 9. Radtour „Für den Landkreis Demmin in die Pedale“ am 25.6.2004 traf er die Familie Ampler, die als Ehrengäste mitwirkten. Peter war wieder vor Ort und konfrontierte einen sichtlich überraschten Klaus Ampler mit der Startliste aus dem Jahr 1958. Mit dem Ausspruch „den Ampler haben wir immer nur von hinten gesehen“ hatte er nicht nur die schmunzelnde Anerkennung auf seiner Seite, sondern auch eine Schlagzeile im Anzeigenkurier eine Woche später. Zur „Belohnung“ gab es Autogramme von Klaus und seiner Frau Rita sowie dem nicht minder bekannten Sohn Uwe Ampler.

 

Autogramme auf der Starterliste zur Internationalen Harzrundfahrt 1958

 

Autogramme auf der Starterliste zur
Internationalen Harzrundfahrt 1958

 

 

   Nun aber wieder zurück zu den Anfängen. Ein sehr großes Problem in den ersten Jahren war die Materialfrage. Trotz aller Erfolge der DDR bei der Friedensfahrt, die Ausstattung der Radsportler in der Breite war doch sehr mangelhaft. Das änderte sich erst als Schur und Eckstein Weltmeister wurden und ab 1961 auch der „Westberliner Markt“ nicht mehr erreichbar war. So mußten die Jungs zusammen mit Max und Hans viel improvisieren und „Flickschustern“. Das fing an bei den Schläuchen und hörte beim Lenker auf. Die Jugend fuhr noch ohne Gangschaltung. Da war es wichtig, hinten einen 17er - Kranz und vorne einen 50er - Kranz zu haben; gab es aber nicht, es waren nur 48er - Kränze zu bekommen. Das bedeutete einen Nachteil im Rennen. Und diese waren auch noch mächtig teuer. Mindestens 10 Mark, für einen Sattel mußte man 20 und für einen Schlauchreifen 10 Mark auf bzw. unter den Tisch legen. Letztere zu bekommen war besonders schwierig. Daher benutzten die Lelkendorfer zunächst normale Reifen, wo Schlauch und Reifen getrennt waren und die auch keine Rennbereifung besaßen. Bei den neuen Schlauchreifen sind Decke und Schlauch zum Reifen vernäht, und die Naht ist mit einem Abdeckband abgeklebt. Das Rennrad hatte eine Flachbettfelge. Da es das selbstklebende Felgenband nur in Westberlin gab, wurden die Reifen mit Schlauchreifenkitt der Marke „Renania“ an der Felge befestigt. Ein Ersatzschlauchreifen mußte immer mit dabei sein, denn diese zu flicken war nur mit großem zeitlichen Aufwand möglich. Wolfgang hatte z.B. 1957 das Glück während einer Fahrt zu seiner Tante nach Dassow bei einem „Boxenstopp in Güstrow zwei tschechische Schläuche (3. Wahl) für a 20 Ostmark zu erwerben. Diese waren zwar nur 27 Zoll groß, doch mit ein bißchen Isolierband wurden sie dem deutschen 28er - Zollrad „angepaßt“.

   Das Geld für alle diese Sachen mußten sich die Jungs erst einmal verdienen. Das hieß neben Schule, Freizeit, Hausarbeit und Training einen bezahlten „Nebenjob“ zu finden. Von Wolfgang Voth ist bekannt wie er das anstellte. Die MTS Lelkendorf übernahm damals auch Lohnarbeiten für die noch privaten Bauern. Wenn die Männer von der MTS am Nachmittag Lust auf ein Bier hatten, war Wolfgang zur Stelle und setzte sich auf den Traktor (meist der von Georg Wright). Dafür bekam er 1,36 Mark die Stunde, so daß er mit Trinkgeld so um die 5 Mark pro Nachmittag hatte. 1957 nahm er sich mit seinem ebenfalls radsportbegeisterten jüngeren Bruder Uli zwei Morgen Rüben. Für das Ausheben und alles was dazu gehört, bekamen sie stattliche 160 Mark. Ein Haufen Arbeit fürs Hobby.

   Genauso oder ähnlich machten es auch die anderen Burschen. So war Schorrentin, Peters Geburtsort, schon LPG und hier gab es auch Geld zu verdienen. Sei es bei den Rüben, der Getreideernte und beim Kartoffeln sammeln (3 Mark pro Einsatz). Auch die Eltern der meisten ließen sich nicht lumpen und unterstützten das Hobby ihrer Kinder; wenn auch nicht mit Geld, so doch mit Verpflegung und viel Liebe.

   1958 bekam Wolfgang einen lukrativen Ferienjob auf der Ziegelei. Dort verdiente er richtig gutes Geld, und wie er das zum Teil in sein Rad investierte, ist berichtenswert. An einem Tag im August 1958 beschlossen Wolfgang, Peter und Max mit dem Fahrrad nach Berlin zu fahren. Die beiden Jungs hatten ihre letzten Ferien, und Max nahm sich einfach Urlaub. Morgens um 3.00 Uhr, in noch stockdunkler Nacht, machten sie sich auf den über 200 km langen Weg. So ging es über Malchin und Neubrandenburg auf die heutige B96, dann durch Oranienburg nach Ostberlin. Allein die Fahrt durch den Osten der Stadt war schon ein Erlebnis. In den frühen Nachmittagsstunden erreichten sie ihr Quartier. Es war das Hotel „Hozpiz“ in der Nähe des Bahnhofes Friedrichstrasse. Hier kostete die Übernachtung bloß drei Mark pro Person (im „Vier Tore“ in Neubrandenburg waren es zur gleichen Zeit fünf Mark). Für den Tag hatten sie genug geleistet. Die Fahrräder wurden im Keller geparkt. Nach einem ordentlichen Imbiß und einer kurzen Stadtbesichtigung gingen sie müde ins Bett. Am nächsten Tag gingen die drei dann „rüber“ zum Einkaufen. Es galt, sich für die Juniorenklasse die nötige Ausrüstung zu besorgen. Auf dem Wunschzettel stand eine Renax-Gangschaltung, ein Überwerfer für das Doppelblatt vorne, Bremsklötze, Lenkerband und einiges mehr. Ob nun französisches Fabrikat oder ostdeutsche Exportware, es gab alles zu kaufen und der Zettel wurde restlos abgearbeitet. Da noch Geld übrig war, gab es auch noch Schokolade, einen Petticoat für Tante Ida und noch ein paar Kleinigkeiten. Danach nutzten sie die Zeit noch zu einem ausgiebigen Bummel durch West-Berlin, besuchten Sehenswürdigkeiten und kehrten am Abend zufrieden und voll gepackt zu ihrem Quartier zurück. Am nächsten Morgen wurde alles sicher verstaut und man fuhr wieder Richtung Heimat, wo sie am Abend wohlbehalten wieder ankamen. Hut ab vor dieser Leistung.

   Kommen wir zum Thema Training. Trainiert hat unter der Woche jeder für sich selber. Bestimmte Marschrouten oder Pläne hatten Max und später auch Jochen Peters und … Krüger nicht vorgegeben. Individuelles Training ist typisch für den Radsport, denn zuerst bist du Einzelkämpfer und dann kommt die Mannschaft. Das soll aber nicht heißen, daß sie kein Team waren, denn das waren sie voll und ganz. Das war auch der Grundtenor in den Gesprächen, die ich führen durfte. Die Rennen fanden meist am Sonntagvormittag statt, was übrigens immer ein frühes Aufstehen und oft einen langen Anreiseweg nach sich zog. Wenn rennfrei war, wurde gemeinschaftlich trainiert; meist ging es Richtung Teterow oder Malchin, weil sie hier die besten Straßenverhältnisse vorfanden. Auch bei den Trainingsmethoden gab es interessante Varianten. Wolfgang fuhr zum Beispiel immer, wenn es das Wetter halbwegs zuließ, mit dem Fahrrad zur Berufsschule nach Malchin, und wenn danach noch Zeit war, ging es mit Hermann Trebbin (ebenfalls dort Berufsschüler) noch eine Runde um die Kreisstadt und dann wieder Richtung Neukalen. Peter Rathfisch hatte sein eigenes Trainingsgelände. Er trainierte auf seinem „Hausberg“ in Schorrentin, quasi auf der Koppel. Dort nahm er immer die obersten Schlete aus dem Koppelzaun und los ging es. Berg runter auf dem Rad und vor jedem Hindernis absteigen, Rad auf die Schulter und drüberspringen, wieder auf den Sattel und weiterfahren. Berg hoch hieß soweit wie es ging fahren, den Rest Rad wieder über die Schulter bis nach oben. Das mehrmals hintereinander war gutes schweißtreibendes Training, und das zahlte sich bald aus.

 

Querfeldeinrennen

 

Querfeldeinrennen

 

 

   Denn diese Belastung machte ihn fit für das Querfeldeinfahren. Auf diese Disziplin des Radsportes hatten sich die Lelkendorfer auch frühzeitig konzentriert. Damit ihr Sport nicht nur eine „Sommersportart“ blieb (die Rennen gingen im Schnitt von Ende März bis Mitte Oktober), fuhren sie nicht nur auf der Straße, sondern auch durch „Wald und Flur“. Auch in dieser Disziplin gab es Einzel-, Paar- und Mannschaftsfahrten. Erste kleine Erfolge waren bei dem Training nur eine Frage der Zeit. Ob Matsch oder Schnee, Querfeldeinrennen ging immer. Die befragten Teilnehmer konnten sich nur an einen Abbruch erinnern. Das war in Demmin (Devener Holz), und da zeigte das Thermometer minus 15 Grad. Da ging wirklich nichts mehr.

 

Bahnfahren in Demmin

 

Bahnfahren in Demmin

 

 

   Als Ende 1957 auch das Bahnfahren (sehr gute Bahnen in Demmin und im Harderstadion in Neubrandenburg) ins Programm aufgenommen wurde, war das zuviel für die kleine BSG. Zusammen mit den Jungs von Empor Stavenhagen (mit Jochen Peters, Erwin Thiel und Hans Joachim Gütschow) gingen sie zu Dynamo Malchin und bildeten eine neue starke Radsportgruppe. Dynamo hatte gerade ihre sehr gute Frauen - Handballmannschaft „verloren“ und deren ehemaliger Chef Alfred Lange war auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld. Dieser Wechsel hatte ausschließlich finanzielle Hintergründe. Der Sport wurde zu teuer, und das war unter der Schirmherrschaft der Polizei leichter zu bewerkstelligen. So konnten vor allem die jungen Fahrer (z.B. Manfred Kock, Uli Voth und Josef Turtschan) mit neuen und modernen Rädern ausgestattet werden. Für Hans Merz sprang jetzt die Firma Lutzke ein und übernahm die Reparatur und die Betreuung der Räder. Die Lutzkes waren ein Glücksgriff für die Malchiner. Ein Sohn dieser Mechaniker - Familie fuhr selber mit und ist noch heute in Erfurt mit dem Radsport verbunden, und auch die Firma existiert noch in Malchin. Auch das ganze „Drum-her-rum“ wurde etwas professioneller. Der Bezirksvorstand Radsport übernahm nun die Organisation. Vorstands-Manager wurde Dieter Weiß. Zum Trainerstab gehörten Neckel (Teterow), Wagner (Neustrelitz), Hein (Demmin) und Jochen Peters, welcher bis zur seiner lang vorbereiteten Flucht 1961 für die Malchiner zuständig war. Sie koordinierten die Renn- und Trainingspläne, vor allem für das Paar- und Mannschaftsfahren und nominierten die Fahrer. Aber auch der unverwüstliche Max Kohnke begleitete die Jungs so oft er konnte, denn auf seine Massagen wollten sie nur ungern verzichten. Jetzt wurden die Fahrten weiter, man konnte an größeren Rundfahrten teilnehmen und auch um höhere Siegprämien mitfahren. Denn die waren bisher eher bescheiden geblieben. Mal gab es 100 Mark für Platz 1. und dann gestaffelt bis zum 10. der noch 10 Mark bekam. Meist waren es aber Material- und Sachprämien, z.B. Fahrradzubehör, Stoffe oder Lebensmittel. Es passierte schon mal, daß je nach Attraktivität der Preise die Prämiensprints wichtiger waren als der Tagessieg. Kurios aus heutiger Sicht waren z.B. die Prämien bei einem Rundstreckenrennen 1957 in Stavenhagen. Bei den Sprints gab es einmal drei Haarschnitte und einmal eine Dauerwelle vom Friseur Max Mende zu gewinnen. Am 6.7.1960 gab es auf der dritten Etappe (Greifswald - Güstrow 117 km) der Ostseeland - Rundfahrt in Malchin bei einem Zwischensprint einen Wohnzimmerschrank aus der Produktion des ortsansässigen Möbelwerkes. Wer ihn gewann und wie er ihn nach Hause bekam, ist leider nicht mehr bekannt.

 

Lübz 1957

 

Lübz 1957

 

Von links: Opa Kohnke, Horst Kohnke, Hedwig Kohnke, Benno Ludwigs, Max Kohnke, Enno Ludwigs, Hans Merz, Hartmut Kliem, Wolfgang Voth


Neustrelitz 1957

Neustrelitz 1957

 

Von links: Hartmut Kliem, Max Kohnke, Peter Rathfisch, Wolfgang Voth

 

 

   Das Jahr 1958 begann auch gleich mit guten Ergebnissen. Peter belegte bei einem Querfeldeinrennen in Broda den ersten Platz. Im Frühjahr gewann er zusammen mit Wolfgang Voth ein Paarfahren der Jugend 16/18 von Neustrelitz nach Neubrandenburg. Der für den verletzten Peter nachnominierte Wolfgang holte bei den deutschen Jugend - Meisterschaften einen ausgezeichneten 6. Platz. Mit dieser Verletzung mußte sich Peter auch von seinen Teamkollegen aus Malchin verabschieden. Er ging nach Templin zum Studium. Hier fuhr er noch bis 1961 für Lok Templin. Die großen Erfolge blieben zwar aus, aber das ist nicht alles im Sport. Nur bei Fahrten gegen seine alten Kameraden war er denn doch etwas mehr motiviert. Die Musik wurde mehr und mehr sein Steckenpferd, und seien wir ehrlich liebe Leser oder ehemaliger Schüler, das war gut so.

   Seine Malchiner Mitstreiter waren weiterhin erfolgreich auf den Strassen, im Gelände und auf der Bahn unterwegs. Uli Voth gewann z.B. das bekannte Rennen am Pfaffenteich. Im Jahr 1959 gelangen ihm zwei Siege an einem Wochenende. Sowohl am 6.5. (Himmelfahrt) sowie am 8.5. (Tag der Befreiung) ließ er sich den Siegerkranz seiner Klasse umhängen. Sein Lächeln und das von Trainer Jochen Peters sind auf einem Foto deutlich zu erkennen. 1959 gewannen Manfred Kock und Herrmann Trebbin neben ihren Bezirksmeistertiteln auch ihre ersten DDR-offenen Rennen. Diese Bezirksmeistertitel sammelte neben Wolfgang Voth auch der Schorrentiner Josef Turtschan gerne ein. Und dies gleich auf mehreren „Hochzeiten“. So gelangen ihm 1959 die Siege im Einzel und Mannschaft auf der Straße und im Einzel beim Querfeldeinrennen. Im letzteren lag auch seine Stärke. In dieser Disziplin entwickelte er sich zu einem der besten des ganzen Landes. 1962 erreichte er den Höhepunkt seiner Laufbahn. Zwei dritte Plätze, einmal bei der DDR-Meisterschaft in Crimmetschau und wenig später bei der Revanche in den schneebedeckten Heidbergen von Teterow, schienen sein Leben ändern zu wollen. Erstens brachten ihm diese Resultate eine Nominierung für die Weltmeisterschaft in der Schweiz ein. Dieser Traum zerbrach an der Ausladung der DDR-Sportler. Warum, das ist ein anderes Thema; nur kurios, daß dort gerade ein Fahrer aus der BRD gewann. Zweitens waren bei den vorgenannten Rennen auch die Trainer der Leistungszentren dabei, und die hatten ein Auge auf Josef. So flatterte ihm ein Angebot vom einem dieser Zentren aus Cottbus ins Haus. 600 Mark boten sie ihm an. Doch auch diesen Traum ließ er zerplatzen. Erstmal verdiente er in der PGH Dargun schon mehr Geld und dieses brauchte er auch. Im gleichen Jahr heiratete er seine langjährige Freundin. Als dann noch die Einberufung zur Armee kam, beendete er seine Laufbahn auf ihrem Höhepunkt. Er trainierte zwar noch lange danach weiter (so fuhr er z.B. während der Armeezeit immer von Prenzlau nach Malchin zur Frau), aber an Rennen nahm er nicht wieder teil. An ein Ereignis erinnert er sich heute noch gerne. Die schon erwähnte Ostseeland - Rundfahrt 1960. In der Besetzung Uhrig, Scholze, Voth W. und Turtschan fuhren sie als Bezirk Neubrandenburg gegen die gesamte DDR - Spitze (u. a. Schur, Hagen, Adler, Eckstein, Ampler, Lörke), sowie Fahrer aus Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und Polen. Auf der Schlußetappe von Güstrow nach Rostock über 160 km wurde er zweiter hinter Klaus Ampler. Ein unvergessenes Erlebnis, wie auch die spätere Fahrt im Wartburg „Kübel“ entlang der jubelnden Zuschauer.

 

Jochen Peters und Uli Voth, Mai 1959

 

Jochen Peters und Uli Voth, Mai 1959

 

 

Siegerehrung in Stettin 1959 (1)

 

Siegerehrung in Stettin 1959 (2)

 

Siegerehrung in Stettin 1959

 

Von links: Wolfgang Voth, Dieter "Eule" Ruthenberg, ... Lörke

 

 

   1959 wurden einige Malchiner, die es in die Bezirksauswahl Neubrandenburg geschafft hatten, zu einem Rennen nach Stettin eingeladen. Übrigens mußte die Berufung in diese Auswahl durch mehrere Ausscheidungsrennen im Jahr immer neu bestätigt werden. Über den großen Umweg Frankfurt (Oder), damals der einzige Grenzübergang in der Nähe, ging es in die Heimat von Max Kohnke. Auch hier gab es Treffen besonderer Art. Mit am Start war dort nämlich Dieter „Eule“ Ruthenberg. Der von Lok Neustrelitz stammende Fahrer startete für die DDR - Auswahl. Er gewann das Rennen vor Wolfgang Voth. „Eule“ wurde später sehr bekannt und zwar als Masseur der DDR - Nationalmannschaft sowie später vom Team Telekom. Über vierzig Jahre später hat Wolfgang ihn beim „Rennen um den Henninger Turm“ in Frankfurt (Main) wieder getroffen. Er stand im Gespräch mit dem früheren Präsidenten des BdR (Bund deutscher Radfahrer) Rudolf Scharping zusammen. Wolfgang kannte keine Scheu und sprach ihn mit dem Foto der damaligen Siegerehrung in der Hand an. „Eule“ konnte sich zwar nicht mehr direkt daran erinnern, aber für einen kleinen Gedankenaustausch nahm er sich die Zeit.

   Als weiterer Höhepunkt für unsere Radsportler war die jährliche Etappenfahrt um den Preis der Heimatzeitung „Freie Erde“. Im Jahr 1960 schlug dort die große Stunde von Dynamo Malchin. Über drei Etappen und einem Einzelzeitfahren ging es rund um die Bezirksstadt Neubrandenburg. In der Besetzung Thiel, Voth W., Turtschan, Trebbin und Gütschow gewannen die Malchiner wegen der nachträglichen Disqualifikation von Dynamo Gera (sie hatten an einer geschlossenen Bahnschranke gemogelt) die Mannschaftswertung. In der Einzelwertung kamen sie auf die Ränge 5. Trebbin, 6. W. Voth und 8. Turtschan.

 

Dynamo Malchin 1960

 

Dynamo Malchin 1960

 

Von links: Hermann Trebbin, Jochen Peters, Wolfgang Voth, Josef Turtschan, Erwin Thiel, Manfred Kock, Max Kohnke

 

 

"Atze" Tonhäuser

 

 

   Diese Erfolge waren auch Ansporn für so einige Jugendliche sich für diesen Sport zu entscheiden. Einer von ihnen war Adalbert („Atze“) aus der sportbegeisterten Familie Tonhäuser. Gegen den Trend seiner Brüder (Handball, Fußball und Turnen) ging er zunächst zum Radsport nach Malchin. Auslöser dafür war sein Sieg bei der durch die Schulen ausgetragenen „Kleinen Friedensfahrt“ 1958. Auf der Strecke Neukalen - Warsow - Neukalen ließ er auf seinem normalen Straßenrad alle hinter sich. Das sahen die Voth - Brüder und lotsten ihn ein Jahr später zu Dynamo. Dort fuhr er bis 1964 sowohl auf der Straße als auch im Gelände. Es folgten gute Plazierungen bei Bezirksmeisterschaften und bezirksoffenen Rennen. So zum Beispiel beim Demminer Querfeldeinrennen im Devener Holz 1961. Beim Sieg von Josef Turtschan (trotz Radwechsel 1.10 min. Vorsprung) im Juniorenwettbewerb belegte Atze in der Jugendklasse über 10 km einen sehr guten 7. Platz. Auch während seiner Armeezeit in Stahnsdorf ließ er die Hände nicht vom Rennlenker und fuhr im dortigen Armeeklub noch weiter kleinere Rennen. Als er 1966 zurückkam, war der Radsport im Kreis „am Boden“. Er ging zum Fußball und war dort viele Jahre ein Garant für gute Leistungen. Die Grundlagen des Ausdauersportes Radsport kommen ihm noch als Marathonläufer zu gute.

   Die Geschichte könnte sicherlich noch fortgeführt werden, doch mit Wolfgang Voth verließ Ende 1961 auch der letzte erfolgreiche Fahrer mit Neukalener Ursprung die Radsportbühne. Er ging zum Studium nach Neustrelitz. Er fuhr für Lok Neustrelitz noch einige Rennen, so zum Beispiel beim 3. Malchiner Querfeldeinrennen im Hainholz 1962. Nach 25,2 km siegte der überragende Josef Turtschan mit 1.20 Minuten Vorsprung. Wolfgang wurde beim Sieg seines Freundes und in seinem letzten Rennen Fünfter. Da der Sieger - wie schon erwähnt - am Ende dieses Jahres auch, was Rennen betrifft, sein Rad an den berühmten Nagel hing, können wir diesen Ausflug in die Geschichte des Sportes in Neukalen beenden.

 

Wolfgang Voth

 

Wolfgang Voth

 

 

Hans Merz und Peter Rathfisch

 

Hans Merz und Peter Rathfisch

 

 

Teterow 1962, rechts: Josef Turtschan

 

Teterow 1962

 

 

Vierer Mannschaft in Doberan 1960

 

Vierer Mannschaft in Doberan 1960

 

Von links: Erwin Thiel, Wolfgang Voth, Josef Turtschan, Hans-Joachim Gütschow, Max Kohnke


Links: J. Turtschan, zweiter in Rostock 1960

Links: J. Turtschan, zweiter in Rostock 1960

 

 

Siegerfoto in der

 

Siegerfoto in der "Freien Erde" 1962,
von links: Thiel, Turtschan, Gütschow und Voth

 

 

Crimmetschau 1962 (1)

 

Crimmetschau 1962 (2)

 

Crimmetschau 1962,
rechts: Josef Turtschan

 

 

Urkunde Wolfgang Voth (1)

 

 

 

Urkunde Wolfgang Voth (2)

 

Urkunde Wolfgang Voth (3)

 

Urkunde Wolfgang Voth (4)

 

Urkunde Wolfgang Voth (5)

 

Urkunde Wolfgang Voth (6)

 

Urkunde Wolfgang Voth (7)

 

Urkunde Wolfgang Voth (8)

 

Urkunden Wolfgang Voth 1958 ... 1961

 

 

Urkunde Josef Turtschan (1)

 

Urkunde Josef Turtschan (2)

 

Urkunde Josef Turtschan (3)

 

Urkunde Josef Turtschan (4)

 

Urkunde Josef Turtschan (5)

 

Urkunden Josef Turtschan 1960 ... 1961

 

 

Urkunde Mannschaftsfahren (2)

 

Urkunde Mannschaftsfahren (3)

 

 

Urkunde Mannschaftsfahren (1)

 

Urkunden Mannschaftsfahren 1959 ... 1960