Die Gasversorgung in Neukalen
Dipl.Ing. Jörg Busse
(2005)
[Herr Dipl. Ing. (FH) Jörg Busse war von 1963 – 1992 im VEB Energiekombinat Neubrandenburg und der Ostmecklenburgischen Gasversorgung GmbH Neubrandenburg als Abteilungsleiter für Gaserzeugung und Gasverteilung tätig. Seine Zuständigkeit bezog sich auf alle gasversorgte Städte des ehemaligen Bezirkes Neubrandenburg. Inhalte zu diesem Beitrag entnahm er eigenen früheren Veröffentlichungen und Aufzeichnungen.]
Die Firma Francke war eine sehr erfahrene Firma, die zwischen 1890-1905 173 Gaswerke in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz neu errichtete. Das Gaswerk Woldegk wurde nach den gleichen Plänen wie von Neukalen, 1907 erbaut. Umbauten erfolgten im heutigen M-V in Röbel, Grevesmühlen und Wismar.
Der Aufbau der Gaswerke, zur Erzeugung von Leuchtgas für Beleuchtungszwecke, war im wesentlichen in den größeren Städten des heutigen M-V bis 1870 abgeschlossen. Die günstige Lage zum Antransport der Steinkohle aus den schlesischen Kohlerevieren, dem Ruhrgebiet oder auch aus England über das Binnenwassernetz, die Seehäfen oder das Eisenbahnnetz war die Voraussetzung zum Betrieb der Gaswerke. Das älteste Gaswerk Mecklenburgs wurde 1851 in Güstrow errichtet. Lange schon hatten die Bürger der kleinen Städte Dargun und Neukalen nach Röbel 1857, Teterow 1862 sowie Malchin 1862 die Vorteile gesehen und die Gasbeleuchtung bewundert. Der Kohletransport war durch die Anbindung an die Müritz, Peene und die Eisenbahn Neubrandenburg-Güstrow 1864 gesichert.
Das Gas konnte auch bei der Straßenbeleuchtung und kleinen Gewerbebetrieben für Gasmotoren, Wohnraumbeleuchtung der Bürgerhäuser gut abgesetzt werden. Der erzeugte Koks fand Verwendung für die Raumheizung größerer Räume, in passenden Gussöfen oder Zentralheizungen. Solche Beheizung stellte etwas modernes, gut bürgerliches dar.
Um 1900 beginnt nochmals für wenige Jahre der Aufbau von Gaswerken in den kleinen mecklenburg-vorpommerischen Städten, zwischen 1900-1907 wurden 17 Gaswerke gebaut (z.B. Neukalen, Dargun, Gnoien, Woldegk, Torgelow, Tessin u.a.). Dieser Aufschwung lag im Wunsch begründet, die städtische Straßenbeleuchtung und Wohnraumbeleuchtung modern und preiswert zu betreiben. Dies war möglich geworden durch die Erfindung des "Auerlichtes". Es kam ein völlig neuer Leuchtkörper in den Gaslampen zur Anwendung. Der Gasverbrauch reduzierte sich auf 1/5 der alten Lampen, bei gleicher Lichtausbeute. Somit brauchten auch keine so großen Steinkohlemengen mehr per Pferdefuhrwerk antransportiert werden. Der Aufbau der Nebenstrecken der Eisenbahn löste weitere Transportprobleme. Bis zur Fertigstellung des Eisenbahngleises Malchin-Dargun erfolgte die Kohleversorgung von Malchin per Fuhrwerk und vermutlich per Kahn nach Neukalen.
Zu dieser Zeit wurde der Elektroenergie wenig Verbreitungschancen eingeräumt, da die Gleichstromversorgung größere Strecken nicht überwinden konnte. Es lohnte sich plötzlich, in Städten von bis zu 2000 Einwohnern, noch Gaswerke mit Rohrnetzen bei konzen-trierter Wohnbebauung zu errichten, dazu waren seit 1895 auch die ersten Kochgeräte auf dem Markt.
Die Gesamtbreite betrug zwischen 1906 - 1942 im Durchschnitt 227 m3 Gas pro 1 Tonne Steinkohleeinsatz. Ab 1942 wurden modernere Öfen errichtet, 338 m3 Gas/1t Steinkohle Ausbeute wurden erreicht. 1952/53 wurde ein weiterer Ofen erneuert, 415 m3/1t Steinkohle erbrachte die Veränderung. Die Koksausbeute nach der Entgasung der Steinkohle betrug je nach der Liefergrube der Kohle 60-70% der Steinkohlenmenge. Die Teerausbeute lag bei 4-6% der Steinkohlenmenge. Zur Beheizung der Horizontalretorten waren Halbgeneratoren in Ofenkörper eingebaut, diese benötigten vom erzeugten Koks 20% zur sogenannten Unterfeuerung. Das erzeugte Gas bestand aus einem Gemisch brennbarer Einzelgase, 50 - 52% Wasserstoff, 30% Methan, 8 - 10% Kohlenmonoxid. Der Rest waren überwiegend unbrennbare Gase wie z. B. Stickstoff. Bei der Aufnahme der Erzeugung betrug der obere Heizwert des Gases 5300 kcal/m3 (nach heutigen Einheiten 6,2 kWh/m3). Im 1. Weltkrieg wurde der Wert gesetzlich auf 4300 kcal/m3 abgesenkt, um Kohle zu sparen, die Gaslampen brannten entsprechend dunkler. 1938 wurde der Wert auf 3800 kcal/m3 gesenkt, es wurde die Bezeichnung "Stadtgas" eingeführt. Dieser Heizwert war verbindlich bis zur Umstellung der Gasverbraucher auf Erdgas 1991/93 im Gebiet der neuen Bundesländer.
Durch den Übergang zur elektrischen Beleuchtung hatte die Qualitätsverschlechterung weniger Auswirkungen. Koch- und Warmwassergeräte waren anpassungsfähig. Die Preise wurden der veränderten Qualität angepasst.
Technische Veränderungen der Gasversorgung nach dem 2. Weltkrieg,
Übergang zu anderen Besitzverhältnissen
Als Ende Mai 1949 die Gasversorgung in Neukalen wieder aufgenommen wurde, kam die erste Steinkohle noch aus dem Ruhrgebiet. Die Teilung Deutschlands ließ dies nicht lange zu. Es folgte Steinkohle aus dem "Zwickauer Revier". Die Kohle war ungeeignet, es kam zu starken Volumenvergrößerungen in den Retorten bei der Entgasung, das Mauerwerk riß dadurch. Hoher Schwefelgehalt und Teerablagerungen in den Aufbereitungsanlagen waren weitere Folgen.
Ab 1956/57 wurde wieder schlesische Kohle aus Polen eingesetzt. Die Stadt Neukalen konnte ab 1949 auf die Entwicklung des Gaswerkes nur noch begrenzten Einfluß nehmen, da die Energiewirtschaftsverordnung vom 22.09.1949 die technische und planerische Verantwortung für die Gaswerke Ostdeutschlands in die Verantwortung der "Deutschen Wirtschaftskommission - Hauptabteilung Berlin" legte. Die Landesregierung Mecklenburgs war örtlich verantwortlich, danach die "Verwaltung volkseigener Betriebe - Energiewirtschaft Rostock", mit Sitz in Schwerin. Besitzer des Werkes blieb jedoch die Stadt Neukalen, zuständig für alle ökonomischen und personellen Belange, unter der Firmenbezeichnung "Stadtwerk Neukalen" mit dem Zusatz "Unter volkseigener Verwaltung".
1951 wurde ein 5er Retortenofen von der Firma "GEWINO" aus Westdeutschland erbaut. Die "Deutsche Ofenbaugesellschaft Leipzig" als langjähriger Partner, konnte das Material nicht beschaffen. Um Platz für den Neubau zu schaffen, wurden ein 2er und 3er Retortenofen, welche seit 1944 außer Betrieb waren, abgerissen. Diese Ofentypen waren unverändert in der Bauweise von 1905, wechselseitig alle 4 - 7 Jahre erneuert. Im Jahr 1956 wurde der 5er Ofen, Baujahr 1942/43, abgerissen und durch eine Neukonstruktion des volkseigenen Betriebes "PKM Leipzig" ersetzt. Der Generatorbetrieb erfolgte nunmehr preisgünstig, mit hochwertigem druckfesten Brikett aus der Lausitz. Die Kokseinsparung sollte das Defizit auf dem Kohlemarkt für die DDR-Industrie verbessern. Die Abgabe von Koks, für örtliche Belange, war seit 1952 verboten. Dies bedeutete eine Mehrbelastung für das Personal, da genaue Sortierungen und Bahnverladungen erfolgen mussten. Als Arbeitsverbesserung erfolgte der Anbau einer Lademaschine zur Beschickung und Ausstoß der Retorten. Die Koksablösung erfolgte nun hinter den Öfen. Im Jahr 1951 wurde ein Gassauger mit Elektromotor sowie Transmission und 1953 ein Teerabscheider eingebaut. Beide Anlagenteile waren schon im Projekt von 1905 vorgeschlagen und wohl aus Sparsamkeit (Elektroenergie war nicht vorhanden, ein Gasmotor war teuer) nicht mitgeliefert.
Die schlechten Kohlesorten verlangten jedoch solche Lösungen. Unter Berufung auf die genannte Energieverordnung wurden dann alle Gasanstalten der DDR zum 01.01.1953 in die volkseigenen Energieversorgungsbetriebe eingegliedert (auch Elektronetze). Neukalen kam zur Energieverteilung Neubrandenburg. Die Stadt wurde für das Gaswerk, Wohngebäude, Grundstück und Rohrnetz nicht entschädigt. Nach der Wende 1989 wurde der Ausdruck "Enteignung an kommunalem Eigentum" dafür geprägt. Ab 1958 wurde planmäßig mit der Rekonstruktion des Rohrnetzes, Ersatz der Gussrohre durch Stahlrohre, begonnen. Brüche, Teerablagerungen, Undichtigkeiten der Verbindungen, Gasverluste bis 18%, Korrosion der Hausanschlüsse und Vergiftungen gaben den notwendigen Anstoß. Perspektivplanungen des künftigen Gasabsatzes - nach der Aufnahme der Ferngasversorgung - führten zu größeren Rohrquerschnitten. Bis 1970 wurden 9,8 km Leitungen gewechselt, die Investkosten betrugen 1,1 Mio. für Hauptleitungen, 0,35 Mio. für Hausanschlüsse (alles in Mark der DDR).
Aufnahme der Ferngasversorgung
In der Bemühung der ehemaligen DDR, die einheimische Braunkohle in hohem Maße für die Gasversorgung zu nutzen, wurden von den Professoren der Bergakademie Freiberg Bilkenroth und Rammler entwickelte Verfahren, zur Erzeugung von Braunkohlen-Hochtem-peratur - Koks und Braunkohlen - Sauerstoff -Druckvergasung zur Stadtgaserzeugung genutzt. Dafür wurden Werke, in Lauchhammer 1961 und Schwarze Pumpe 1964, in Betrieb genommen. Die starke Konzentration der Stadtgaserzeugung erforderte den Aufbau eines DDR-weiten Ferngasverbundnetzes. Dieses wurde zwischen 1960 bis 1970 mit 7.200 km geschaffen. Die genannten Maßnahmen sicherten langsam die Unabhängigkeit von Steinkohleimporten und die Schließung der Zwickauer Gruben.
Um auch in Mecklenburg die kleinen Gasanstalten stilllegen zu können (am 01.01.1959 gab es 41 Stück, im Bezirk Neubrandenburg wurden von der Energieversorgung Neubrandenburg 16 Gasanstalten betrieben), wurde als Zwischenlösung und als späteres Spitzengaswerk eine Öl-Spaltanlage, durch englische Firmen, in Rostock errichtet. Inbetriebnahme war am 07.08.1959.
Der Neubau einer Ferngasleitung 1959, Rostock-Tessin-Gnoien-Dargun-Demmin-Greifswald, ermöglichte einen Abtransport des Gases. Es wurden die Gasanstalten Tessin, Gnoien, Dargun, und Demmin 1960/61 stillgelegt. Die Energieversorgung Neubrandenburg baute 1961 die Ferngasleitung Dargun - Neukalen von 11,8 km, als Abzweig von der genannten Leitung. Der Wertumfang betrug 268.000 Mark der DDR. Ein Weiterbau erfolgte 1962 nach Malchin, dessen Wertumfang 210.000 Mark betrug.
Am 04.06.1961 wurde die Gaserzeugung im Gaswerk Neukalen nach mehr als 55 Jahren stillgelegt. Ende 1966 erfolgte die Verbindung zum Verbundnetz des übrigen Landes, damit eine stabile Versorgung aller Orte mit Gas erfolgen konnte. Mit der Beendigung der Gaserzeugung in Neukalen erfolgte eine Zuordnung der Aufgaben zum Meister Effland in Malchin, danach Meister Große-Thie in Dargun, später zu Meister Fürstenberg in Malchin. Das vorhandene Personal in Neukalen demontierte die Ausrüstung des Werkes und 1966 den Gasbehälter mit automatischer Behälterfüll- und -regelanlage (diente als Sicherheit für Störungen und Liefereinschränkungen aus dem Netz Richtung Rostock). Die leeren Gebäudeteile wurden an die Stadt Neukalen kostenlos umgesetzt, das Wohngebäude an den Betriebskollegen Herrn Mucha verkauft.
Zwischen 1966 und 1972 wurden 2 Stück neue Gasdruck-Regelanlagen an der Salemer und Malchiner Straße aufgebaut, es gab keine Beziehungen mehr zum alten Betriebsgelände.
Energiepolitische Änderungen nach der politischen Wende 1989
Am 1. März 1990 beschloss die Volkskammer der DDR die Umwandlung der volkseigenen Kombinate in Kapitalgesellschaften. Im Zuge dieses Gesetzes wurde das Energiekombinat Neubrandenburg am 01. Juli 1990, in die Energieversorgung Müritz-Oderhaff Aktiengesellschaft (EMO) Neubrandenburg umgewandelt. 1991 wurde der Bereich Gasversorgung aus der EMO rausgelöst und die Neugründung der Ostmecklenburgischen Gasversorgung Neubrandenburg GmbH (OMG) vorgenommen. Dieses regionale Gasversorgungsunternehmen war zuständig für die sichere Versorgung auf der Fläche des ehemaligen Bezirkes Neubrandenburg.
Beginn der Erdgasversorgung
Der Wegfall der staatlichen Subventionen für das Stadtgas an die Bevölkerung zum 01.01.1991 gab den entscheidenden Impuls für den beschleunigten Ausbau der Erdgasversorgung. Das Stadtgas aus Rohbraunkohle kostete innerhalb kürzester Zeit das Dreifache. Um die Position auf dem "Wärmemarkt" zu halten und im Bereich "Haushalt und Kleinverbraucher" keine Kunden zu verlieren, begann die Netzumstellung des Gasverbundnetzes der alten DDR sofort auf russisches Erdgas. Da dieses neue Gas völlig andere technische Eigenschaften hatte, es besteht u. a. aus 98% Methan, beträgt der Wärmeinhalt 1 m3 Gases das 2,38-fache des Stadtgases. Die OMG begann am 15. Juli 1992 Malchin als erste Stadt umzustellen, danach Teterow sowie nachfolgend im September 1992 Neukalen.
Folgende Aufgaben waren u. a. zu erledigen, auszugsweise für den Bürger damals erkennbare Arbeiten:
- Information an die Gebäudebesitzer, Besitzer der Gasgeräte über den technischen Ablauf der Umstellung
- Erfassung aller Geräte mit schriftlicher Aussage der Verwendbarkeit nach dem Düsenwechsel bzw. Hinweise zur Neubeschaffung von Gasgeräten
- Prüfung der Installationsinnenleitungen auf Dichtigkeit durch das Handwerk, bei Kostenübernahme durch die Besitzer
- Information zur Kostenverteilung
- Umstellung, Außerbetriebnahme des Stadtnetzes
- Trennung einzelner Straßenleitungen, Einrichten von Fackelstellen
- Reparatur von Gasleitungen im Straßenkörper, Prüfung der Netzdichtigkeit, Funktionsprobe aller Hauptabsperrungen in den Gashausanschlüssen
- Aufbau von 2 Stück neuen Regelanlagen im Ersatz vorhandener ungeeigneter Anlagen
- Einteilung und Zuweisungen der Arbeitsaufgaben durch die OMG an Umstellfirmen, Installationsbetriebe und Baubetriebe
In Neukalen waren 840 Wohnungen aufzusuchen, 2110 Stück Gasgeräte mit neuen Düsen auszurüsten, 840 Stück Installationsanlagen in den Häusern zu prüfen, 94 Stück Innenleitungen wurden erneuert, 500 Stück Hausanschlüsse mit Hähnen auf Funktion zu prüfen, 14 Stück Netzteile zu trennen und zu verbinden, 14 km Rohrleitungen von Stadtgas zu befreien und mit Erdgas zu füllen. Die Kosten je Wohnung beliefen sich im Durchschnitt auf 67 DM für die Düsenwechslung und 82 DM für Installationsprüfung. Die Kosten neuer Geräte lagen zwischen 350 und 600 DM für Herde und Warmwassergeräte. Die erbrachten Maßnahmen durch die OMG beliefen sich auf geschätzte 350.00 DM.
Versorgung mit Gas für die Zukunft
Seit dem Jahre 2002 gibt es nun für die Stadt Neukalen wieder einen einzigen Energieversorgungsbetrieb. Die OMG Neubrandenburg wurde in die E.Dis Aktiengesellschaft Fürstenwalde eingegliedert. Damit liegt die Strom- und Gasversorgung in einer Hand. Dieses Unternehmen wird auch in Zukunft durch geeignete Maßnahmen, die sichere Versorgung und wachsende Bedarfsdeckung mit Erdgas garantieren. Örtlich zuständig ist der Regionalbereich Malchin der E.Dis.