Mein Lebensweg - ein aktives Leben
Wally Otto - 1997
Wally Otto
(* 9.6.1912 + 24.11.2004)
Als ich anfing, meinen "Lebenslauf" aufzuschreiben, merkte ich, daß 85 Jahre gelebtes Leben kaum überschaubar in Kurzform und für Leser nacherlebbar aufzuschreiben sind. Ich wünsche, daß mein Bericht auch als Teil des Zeitgeschehens verstanden wird.
Ich wuchs als älteste Tochter, geb. am 9.6.1912, mit drei Geschwistern in einem kleinen Bauerndorf auf dem Hof meiner Eltern östlich der Oder auf. Nach neunjährigem Schulbesuch (2 Jahre einklassige Volksschule, 7 Jahre Mädchenmittelschule in Arnswalde) arbeitete ich zwei Jahre auf dem elterlichen Hof.
Nach dem einjährigen Besuch der Landfrauenschule in Luisenhof bei Bärwalde entschloß ich mich, die Ausbildung zur Lehrerin der Landwirtschaftlichen Haushaltungskunde aufzunehmen. Dazu gehörte die einjährige Lehrzeit auf einem Bauernhof in Schleswig Holstein und eine zweijährige Seminarzeit in der Frauenschule Luisenhof. Die anschließende Probelehrzeit absolvierte ich in verschiedenen Mädchenklassen der Landwirtschaftsschulen in Bublitz, Bärwalde und Neustettin. Darauf wurde ich als 2. Lehrkraft der Mädchenklasse der Landwirtschaftsschule Bütow angestellt. Ein Jahr später übernahm ich die Leitung dieser Mädchenklasse. Eine besondere Aufgabe in diesem Gebiet war auch für mich die Förderung der deutschen Kaschuben, der Frauen und der Jugendlichen, als wirtschaftlich schwächste Gruppe in diesem Gebiet. Teilweise waren meine Schülerinnen gleich alt oder sogar älter als ich.
Schon während meiner Schulzeit, auch in der Berufsausbildung habe ich mich kontinuierlich um die Freizeitgestaltung an den Schulen bemüht und gute Erfahrungen für meine spätere berufliche Tätigkeit sammeln können.
Während meiner Lehr- und Beratungstätigkeit im Kreis Bütow hatte ich gute Gelegenheit, mit den Jugendlichen Volkslied- und Volkstanzgut zu pflegen. Ich selbst spielte Schifferklavier und konnte die nötige Musik selbst machen und auch Ziehharmonikaspieler für die musikalische Begleitung gewinnen, so daß bei ländlichen Veranstaltungen im ganzen Kreisgebiet alle Teilnehmer die bekannten Volkstänze tanzten.
Im Herbst 1938 beendete ich meine Lehrtätigkeit in Bütow, um mich auf meine Hochzeit im Juni 1939 vorzubereiten. Ich kehrte auf den Bauernhof meiner Eltern zurück. In Bütow hatte ich einen alten großen Webstuhl gekauft und webte nun zu Hause für meine Aussteuer Gardinen, Möbelbezüge, Schafwollteppiche usw. Am 9.6.1939 heiratete ich den Berufssoldaten Wilhelm Kliem aus Hagensruhm bei Neukalen, den ich während meiner Lehrzeit in Holstein kennengelernt hatte. Der Bauernhof in Hagensruhm mußte wegen Erkrankung seiner Eltern verpachtet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war mein Leben harmonisch, freudbetont und relativ sorgenfrei verlaufen.
Frau Otto mit ihren beiden ältesten Kindern 1942
Durch den beginnenden Krieg blieb ich auf dem elterlichen Hof wohnen, nur unterbrochen von wochenweisen Reisen zu meinem Mann, wenn es die Kriegsläufe erlaubten. Meine beiden Kinder, Hartmut, geb. am 1.10.1940, und Ortraud, geb. am 19.1.1942, wuchsen hier auf. Am 20.5.1941 fiel mein Mann auf Kreta. Wir hatten in unserer zweijährigen Ehe nur fünf Monate gemeinsam verlebt. Dieser unersetzliche Verlust war für mich nur zu verkraften, daß mein Leben nun einen grundlegend geänderten Sinn nehmen mußte. Für mich galt es jetzt, nur noch für meine Kinder und die Aufgaben der kommenden Zeit in der Allgemeinheit zu wirken. Danach habe ich bis heute mein Leben gestalten können.
Kurz vor Kriegsende, im Februar 1945, gelang es mir, mit den Kindern zu meinen Schwiegereltern und der Familie meines Schwagers in Holstein zu fahren ohne irgendwelche Mittel mitnehmen zu können.
Hier erlebten wir das Kriegsende und blieben auch dort, bis Anfang 1947 aus Hagensruhm die Nachricht kam, daß der Pächter den Hof zum 1.4.1947 aufgibt. Mit meinem Schwager fuhr ich nach illegalem Grenzübertritt nach Hagensruhm, das wir nach einwöchiger Reise von Zarrentin bis Hohen Mistorf erreichten. Nach schwierigen Verhandlungen gelang eine weitere Verpachtung. Im Herbst 1947 siedelten wir, d. h. die Kinder und ich, mit Genehmigung der britischen und sowjetischen Zone nach Hagensruhm über. Zur Sicherung unserer Lebensgrundlage konnte ich ein Pferd, eine Kuh, eine Zuchtsau, Hühner und das nötige Saatgut zur Bewirtschaftung der mir zustehenden 1 ha Land mitnehmen. Durch die sehr schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen war es leider nicht möglich, die Bewirtschaftung durch Verpachtung zu gewährleisten. Darum verkaufte ich den Besitz im Jahre 1949.
Um eine Lebensgrundlage für mich und meine Kinder zu bekommen, bewarb ich mich mit Erfolg um eine Lehrerstelle in der Berufsausbildung. Ich trat im Herbst 1949 die Arbeit als landwirtschaftliche Berufsschullehrerin in Neukalen an. Gemeinsam mit dem Berufsschullehrer Julius Otto baute ich die landwirtschaftliche Berufsschule auf, zunächst noch mit der Außenstelle Lelkendorf. Die Jugendlichen unter 18 Jahren mußten nun wieder zweimal wöchentlich einen halben Tag zu Schule gehen. Sie waren zum Teil 1945 frühzeitig aus der Schule entlassen worden und sahen diese neue Schulzeit als willkommene Freizeitgestaltung in einer Zeit großer körperlicher Belastung im elterlichen Betrieb, den landwirtschaftlichen Siedlungen, an. Viel schwieriger war es, die Eltern von der Richtigkeit der Berufsschulpflicht zu überzeugen. Der Unterricht wurde zunächst in den Räumen der allgemeinbildenden Schule durchgeführt. Im Jahre 1951 stellte der Rat der Stadt Neukalen für den Berufsschulunterricht ein Gebäude mit zwei Klassenräumen, einem Büroraum und einer kleinen Küche in der Rektorstraße zur Verfügung. Dadurch wurde die landwirtschaftliche Berufsschule mit der Außenstelle Dargun eine selbständige Einrichtung mit rund 600 Schülern, 8 Lehrkräften und 1 Sekretärin. Ich wurde zum Direktor dieser Schule berufen.
Im Jahr 1951 heiratete ich meinen Kollegen, den Berufsschullehrer Julius Otto. Durch Tausch konnten wir eine ausreichend große Wohnung in der Straße der Freundschaft 49 beziehen, in der ich bis heute noch wohne. Auch meine Schwiegermutter, die uns im Haushalt helfen wollte, bekam im gleichen Haus ein Zimmer. Am 19.2.1952 wurde unsere Tochter Siegrun geboren. Die neue große Familie und meinen Beruf in Einklang zu bringen war nur möglich, weil das Einverständnis aller vorlag.
Zunächst war es erforderlich, mich in den nächsten Jahren weiter zu qualifizieren. Im Winterhalbjahr 1953 erwarb ich in Leipzig die Berechtigung zum Unterricht im Fach Deutsch. In den darauffolgenden Wintermonaten der Jahre 1954/55 bekam ich die Qualifikation zum Direktor an Berufsschulen.
Die Arbeit an der Berufsschule entwickelte sich auch dadurch erfolgreich, daß ich mich auf ein gut arbeitendes Kollektiv von Kollegen verlassen konnte. So manche konfliktreiche Situation mit den Jugendlichen wurde dadurch erfolgreich gemeistert. Durch die Verwirklichung des Gesetzes, daß jeder Jugendliche eine Lehrstelle bekommen mußte und die Lehrberufe zunehmend zentral beschult wurden, nahm die Schülerzahl bis 1961 so weit ab, daß die Schule geschlossen wurde. Die Kollegen wurden von der Berufsschule Malchin und den allgemeinbildenden Schulen Neukalen und Dargun übernommen.
Frau Otto 1958 in Dresden
Ich selbst arbeitete im Rat des Kreises Malchin als stellvertretender Kreisschulrat für Berufsausbildung und Kreisvorsitzende der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung bis zum Jahr 1970 weiter. Im Jahr 1969 erkrankte ich so schwer an der ansteckenden Hepatitis, daß ich nach einjährigem Kranksein invalidisiert wurde. Damit änderte sich meine weitere Tätigkeit.
Inzwischen hatte sich in meiner Familie grundlegendes geändert. Meine Schwiegermutter, die uns in der Familie immer geholfen hatte, starb im Jahre 1967. Meine beiden älteren Kinder hatten Studien aufgenommen, und auch unsere jüngste Tochter studierte seit 1970, so daß mein Mann und ich jetzt allein lebten. Gerade in den Jahren nach 1970, in denen ich gesundheitlich erhebliche Schwierigkeiten hatte, hat er mir sehr verständnisvoll geholfen. Leider verschlechterte sich sein Gesundheitszustand merklich, so daß er 1983 auch invalidisiert werden mußte und 1985 starb. Seit dieser Zeit lebe ich allein in enger Bindung zu meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln sowie meinen Geschwistern und deren Familien. Ich bewirtschafte noch ein kleines Stück Garten zur Stabilisierung meiner Gesundheit und habe viel Freude an meinen Blumen.
Hier in Neukalen habe ich mir ein Betätigungsfeld aufgebaut, über das ich jetzt berichten möchte.
Im Jahr 1953 übernahm ich die Leitung der Ortsgruppe des Kulturbundes Neukalen. Ich wurde in die Stadtvertretung gewählt und arbeitete im Rat der Stadt als Abteilungsleiter Kultur. Eine ganz neue Aufgabe war für mich, im Jahr 1958 den Karneval im Ort ins Leben zu rufen. Ein Elferrat, eine Funkengarde und ein Prinzenpaar wurde gefunden. Nach einem großen Maskenumzug, den drei tollen Tagen und der Prinzenverbrennung am Dienstag nach den drei tollen Tagen war eine neue Tradition in der Stadt geboren, die mit jedem Jahr an Beliebtheit in der Stadt und weiteren Umgebung gewann. Nach 25jähriger Leitung des Geschehens, gab ich die Gestaltung in fähige junge Hände, so daß der Karneval in Neukalen weiter lebt und sich durch gute närrische Ideen festigt.
Um noch mehr Einwohner in die geistig kulturelle Entwicklung der Stadt einzubeziehen, gründete der Rat der Stadt den Klub der Werktätigen, deren Vorsitz ich als Abteilungsleiter Kultur übernahm. Zum Vorstand gehörten Vertreter der Vereine und Organisationen der Stadt. So bestanden in der Stadt drei Gremien, die sich mit der kulturellen Entwicklung in der Stadt beschäftigten und unter meiner Leitung die Veranstaltungen kontinuierlich zu entwickeln und abzustimmen. Zur Tradition gehörten monatliche Theaterfahrten nach Güstrow, im Winter der Konzertwinter auf dem Lande, das vorweihnachtliche Konzert mit dem Orchester Neustrelitz, jährlich ein- und mehrtägige Fahrten durch die DDR und ins sozialistische Ausland, um nur die wichtigsten Veranstaltungen zu nennen. Als ich 1977 altershalber meine Mitarbeit im Rat der Stadt aufgab, behielt ich nur noch die Leitung der Ortsgruppe des Kulturbundes.
Daraus entwickelte sich im Jahre 1991 der Neukalener Heimatverein, dessen Vorsitzende ich bis heute bin. Ein zehnköpfiger Vorstand ist bemüht, folgende Schwerpunkte zu verwirklichen
1. Chronik der Stadt, Entwicklung von Traditionen
2. Bauliche Gestaltung der Stadt
3. Umwelt- und Naturschutz
4. Zirkel zur Pflege der niederdeutschen Sprache
5. Pflege der Geselligkeit
In guter Zusammenarbeit mit den Vereinen und Organisationen der Stadt gelingt es uns immer besser, das gesellige Leben der Stadt zu organisieren.
Die umfangreiche gesellschaftliche Arbeit auch heute noch zu bewältigen ist nur möglich, weil ich immer Menschen fand und finde, die mir helfen, die Forderungen zu verwirklichen.
Ich möchte Ihnen allen an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen für ihr Vertrauen und Ihre Einsatzbereitschaft.
Ich hoffe, daß wir noch einige Zeit gemeinsam die Vorhaben verwirklichen können.