Maurermeister Wilhelm Harm
Wolfgang Schimmel - 1993
An dieser Stelle soll an einen Bürger unserer Stadt erinnert werden, der durch sein Können und seinen großen Fleiß viele schöne Bauwerke geschaffen hat, die noch heute ihrem Baumeister alle Ehre machen.
Wilhelm Carl Friederich Harm erblickte am 29.10.1858 als Sohn des Maurergesellen Johann Heinrich Ludwig Harm und seiner Ehefrau Dorothea Christine Auguste, geborene Glave in Gnoien das Licht der Welt. Hier in dem kleinen mecklenburgischen Ort verbrachte er seine Kindheit und besuchte die Schule. Nach der Einsegnung erlernte er auf Wunsch seines Vaters das Maurerhandwerk. Etwa 1880 zog die Familie Harm nach Neukalen. Sohn Wilhelm war zu dieser Zeit als Handwerksgeselle unterwegs. In Holzminden besuchte er die Baugewerkschule und erlangte bald solche Kenntnisse und Fertigkeiten, daß er seine Prüfung als Maurermeister erfolgreich bestehen konnte.
Auf seiner Wanderung als Handwerksgeselle hatte er Friederike Dorothea Caroline Dahnke (geb. am 10. Mai 1859 in Gallin bei Goldberg) kennengelernt. Sie heirateten am 17. Oktober 1883 in Neukalen. In dieser Zeit wohnte und arbeitete Wilhelm Harm bereits in Neukalen, wohin ihm seine junge Frau nun folgte.
Sein Vater, der Maurergeselle Heinrich Harm, erbaute 1887 das Haus Nr. 372a an der Malchiner Chaussee (heute Straße der Freundschaft 7). Beide Familien wohnten anfangs gemeinsam in diesem Haus. Familie Harm senior wohnte auf der rechten Seite. Wie die Enkeltochter sich später erinnerte, war zu dieser Zeit hier noch eine Küche mit offenem Herdfeuer und großem Rauchfang vorhanden. Auf der linken Seite des Hauses wohnte die Familie Harm junior.
Heinrich Harm überlebte seinen Sohn Wilhelm und dessen Frau um mehrere Jahre. Er hatte 1910 das Haus Nr. 372a an den Ackersmann Ernst Kohfeldt verkauft, wohnte noch einige Zeit in dem Haus, dann in der Bahnhofstraße 5 und ist später aus Altersgründen zur Enkeltochter Lisbeth gezogen, woselbst er etwa 1925 verstarb.
Maurermeister Wilhelm Harm richtete mit großer Tüchtigkeit sein eigenes Baugeschäft ein. Im "Frankengrund" hatte er einen Zimmerplatz von der Stadt gepachtet. Hier stand eine Säge, die von einer Dampflokomobile angetrieben wurde. Zeitweise beschäftigte Maurermeister Wilhelm Harm bis zu 20 Arbeiter bei "Maurer- und Cementarbeit" wie es in einem Bericht heißt. Unter seiner Leitung entstanden viele Neubauten in Neukalen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen hier einige aufgeführt werden:
- Städtisches Krankenhaus 1887
- Restaurant des Gastwirts F. Lagemann
(heute steht hier die katholische Kirche) 1894
- Südlicher Flügel am Rathaus (Sparkassengebäude) 1898
- Kleinkinderschule 1901
- sein Wohnhaus (Str. d. Freundschaft 45) 1903
- Molkereigebäude (bei der Schule) 1904
- Wohnhaus des Gasmeisters 1905
- Bahnhof 1907
- Bahnbrücke 1907
Außerdem war er beim Umbau der Kirche (um 1890) beteiligt, erbaute den Steigerturm des Spritzenhauses und etliche Wohnhäuser. Auf Grund seiner Verdienste wurde ihm der Titel "Hofmaurermeister" verliehen.
Sein Wohnhaus ist noch heute als ein Schmuckstück unter den Neukalener Häusern anzusehen und hat einen besonderen, ansehenswerten Stil. Hier ließ er eine Dampf - Zentralheizung einbauen, was damals eine sehr neuzeitliche Einrichtung war, die sonst kaum einer hatte. Maurermeister Wilhelm Harm war ein angesehener Bürger in der Stadt. Nebenbei hatte er noch mancherlei "Ämter". So war er unter anderem im Bürgerausschuß, vom 1.9.1883 bis 1896 Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, um 1888 Kassierer der Ortskrankenkasse, selbstverständlich auch Mitglied der Schützenzunft und nicht zuletzt Vorsitzender der freien Innung der geprüften Baugewerksmeister in Neukalen.
Maurermeister Harm wurde von seinen Kindern in der Erinnerung als ein sehr lieber Vater, leutselig und lustig, tüchtig, gewissenhaft im Geschäftsleben und sehr fürsorgend beschrieben. Aber es gab auch eine Schattenseite, eine menschliche Schwäche dieses allseits geachteten Mannes. In der Chausseestraße, nicht weit gegenüber seiner Wohnung, befand sich die Gastwirtschaft "Zur guten Quelle", die damals der befreundete Carl Daewel betrieb. Hier war Wilhelm Harm in gewissen Abständen Gast, und das regelmäßig mit notvollem Ausgang. Nicht nur seine Familie, sondern auch er selbst haben darunter sehr gelitten. Hierüber sagte Frau Harm zu Frau Daewel eines Tages im Ärger: "Ihr Mann ist der Teufel (Daewel), und Sie sind die Teufelin!" Das ging der Familie Daewel doch sehr zu Herzen. Obwohl die Freundschaft daran nicht zerbrach, verkauften sie bald darauf die Gastwirtschaft, und Herr Daewel wurde Reisender zum Verkauf von Wagenschmiere bei den Bauern und Gutsbesitzern. Sie waren und blieben auch dabei wohlhabende Bürgersleute.
Mit 48 Jahren zog sich Wilhelm Harm eine schwere Grippe und Lungenentzündung zu, nahm darauf jedoch keine Rücksicht und verstarb alsbald in der Folge davon am 18. März 1907. Seine Frau wollte das Baugeschäft weiterführen. Sie annoncierte dazu die Stelle eines Geschäftsführers und erhielt etwa 50 Anfragen. Mit der befreundeten Familie Daewel suchte sie unter den Bewerbern drei aus, und unter diesen wählten sie dann Ernst Hilliges aus Berlin, der frisch von der Baugewerkschule kam. Letzterer wurde eingestellt, sah sich aber der Aufgabe der Geschäftsführung und der damit verbundenen Verantwortung nicht gewachsen und trat zehn Tage nach Beginn seiner Tätigkeit davon wieder zurück, sehr zum Bedauern von Frau Harm. So entschied sie sich für den nächsten der drei ausgewählten Bewerber, Herrn Thiemann. Unter seiner Leitung ging das Baugeschäft binnen kurzer Zeit in Konkurs, und Maurermeister Busch kaufte es auf. Es soll mit der Verwaltung durch Herrn Thiemann unredlich zugegangen sein; man sprach von Veruntreuung von Geldern in großem Umfange. Maurermeister Busch betrieb hier noch einige Jahre ein Baugeschäft, bis er um 1920 starb.
Für Frau Harm hatte eine Zeit großer Not begonnen. Sie mußte aus dem Haus ausziehen, da es ja mit verkauft war. Nach endgültiger gerichtlicher Abwicklung der Konkurs - Angelegenheit bekam sie 6000 Mark und ließ davon in Waren das Haus Villenstraße 31 bauen. Die Familie wohnte ab 1912 in Waren, Kleine Burgstraße und ab 1914 in dem neuen Haus in der Villenstraße (heute Fontanestraße). Hier betrieb sie dann eine Urlaubs - Sommerfrische - Gäste - Pension.
Die Tochter Emma Harm war Hauslehrerin bei verschiedenen Gutsleuten, u. a. in Leuschentin beim Baron von Malzahn. Ernst Hilliges erzählte 1907 nach seiner Rückkehr nach Berlin bei seinen Eltern von der Familie Harm, daß sie fromme Christen wären, aber durch den Tod des Vaters sehr in Not. Ferdinand Hilliges reiste dann nach Neukalen, um die Witwe Harm einmal zu besuchen. Darauf wurden die beiden Töchter Emma und Elisabeth Harm zu einem Besuch in Berlin eingeladen. Dabei “erblickte” Johannes Hilliges seine spätere Braut und Frau Emma. Es vergingen noch ca. acht Jahre, bis er sich nach einer Kriegsverwundung 1916 aufmachte und nach Waren reiste, um die völlig perplexe Emma Harm zu fragen, ob sie seine Frau zu werden gewillt sei. Sie heirateten 1918 und hatten zehn Kinder.
Maurermeister Wilhelm Harm mit Frau und den beiden Töchtern Emma (links) und Lisbeth (rechts)
Die Töchter von Maurermeister Harm:
Emma (links) und Lisbeth (rechts) etwa 1905
Emma Hilliges, geb. Harm (Foto von 1973)
Das Haus Nr. 45 in der Straße der Freundschaft (1991)
In der Mitte Anna und Ferdinand Hilliges
(5. von rechts oben: Ernst Hilliges, ganz links oben: Johannes Hilliges)
Zeichnung des Maurermeister Harm im Dezember 1897 zum "Neubau eines Flügels am Rathause zu Neukalen"
Annonce aus dem "Neukalener Wochenblatt" vom 6.1.1895
Annonce aus dem "Neukalener Wochenblatt" vom 14.10.1896
Annonce aus dem "Neukalener Wochenblatt" vom 5.6.1898