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Klaes


Eine heimatliche Plauderei von Arthur Koch
Aus: “Ostmecklenburgische Heimat”, 7. Jahrgang, 1934, Nr. 4

 

Kal´sch Klaes

 

   "Klaes' nennen s' uns, Kalsch Klaes' dormit fall'n wie 'n lütt bäten ut den'n nohrhaften Rahmen von uns' Nawern rut, as dor sünd: Darguner Sandhasen, Malchiner Piepgössels un Teterow' sch Häkt. Worüm wi nu eigentlich so heiten, dat weiten wi ok nich. Gewiß, wi hemm'n ok Klaes' bi uns, oewer in Malchin sünd mihr. As wi dat tau dei Piepgössels säden, antwurten dei: "Jejajija, dorför is uns' Stadt jo ok vier Mal so grot, denn dörben wi ok mihr hemm'n." So'n geistreiche Antwurt künn'n wi denn ok nich wedderleggen. Weck meinten denn, dat kehm woll dorher, dat wi so doemlich wiern as dei Klaes'. Ick bün jo kein Zoologe un kann denn ok nich weiten, ob dei Klas daemlich is. Manchmal seggt'n jo tau'n Minschen, wenn hei sien soeben - orrer sünd't fiew? - Swien nich up'n Hümpel hett: "Du Klas!" mennigmal hett ok all einer tau mi seggt: "Du hest'n Vagel!" Oewer ob hei mit den Vagel nu grad den Klas meint hett, utgeräkent noch den'n Kalschen Klas, dornah heww ick meistendeils tau fragen vergäten.

   Oewer ick segg, daemlich sünd wi nich un denk dorbi an einen Inwahner von Nikalen. Na, dei führt 1917 nah Berlin; afgünstig Lüd säden, hei bedrew so'n bäten Schleichhannel. Dat's jo nu all verjährt un denn is woll ok väl Neid dorbi wäst, wil dat's em nich eis tangt hemm'n, aewer anner Lüd oft! In 'ne viert Klass' wiern dei Lüd schön aewer Meckelborg tau gang: wat dei Meckelbörger doch daemlich wiern, un rückstännig un 'nen Ossenkopp harrn s'in't Wapen, womit dei Staat sogor sien Börgers beschienigen ded, dat sei würklich man Ossenverstand harrn! Un nich mal 'ne Verfassung harrn s'.

   "Wat hemm'n wi nich?" frög dei Inwahner, den dat Geraster all lang argern ded, un dei sick wunnert, dat keiner von dei annern Plattdütschen dei Berliner dat Mul stoppte.

   "Keene Verfassung, mein Jutester," schreeg em dat von allen Sieden entgegen. "Nu ward't Dag! Woher willt ji dat woll weiten, dat wi kein Verfassung hemm'n? Ick heww sogor persönlich ein! Wooft hett min Fru all tau mi seggt: "Du kümmst jo werrer in 'ne schöne Verfassung nah Hus!" Na, wat seggt ji nu?"

   Nu güng't Haegen un Tuscheln aewer los in den Wagen, dennehr schiente, as wenn dit woll 'n besonderes Exemplor von Daemlichkeit wier. Dei wüßt noch nich mal, wat 'ne Verfassung wier. Dat's so daemlich wier'n, dei Meckelbörger, dat wier jo kum tau glöben. Aewer dei Bewies set jo allerdings gesund, dick un schier, wat sei von sick nich behaupten künn'n, dor up dei Bänk. Dat Wurt von dei dümmsten Burn wier doch richtig, dachten's noch, as hei tau ehr Gewäs' nicks säd. Ob't aewerhaupt Zweck harr, em dat tau verkloren? Aewer versäuken künn'n dat jo, un so füng'n sei mit 'n Vördrag an, wat 'ne Verfassung wier.

   Dei Kalsch Klas let's ruhig räden; wieldes packt hei ut sien grot Reis'tasch 'n Buddel Kaem ut. Rostocker Doppel! Kein Kriegswor! Mihr bruk ick woll nich tau seggen, denn woans dei smeckt, weiten wi all. Dei stellt hei näben sick hen. As hei sick aewertügt harr, dat sei nich ümfallen künn, füng hei an, in sien Reis'tasch tau säuken, denn dat wier so'n Tasch, wo man 'n halw Swien in verpacken künn. Ut dei rechte Eck halte hei 'ne Mettwust rut, 'ne richtige, gerökerte Landmettwust, dei ehrn Geruch gliek aewer den ganzen Bahnwagen verbreiden ded. Aewer kein lütt, i bewohre, so drei bet vier Pund künn sei woll wägen. Dei packt hei up dei anner Sied von sick hen.

   Dei Berliner wier'n all still worden. Sei drögen jo süß dei Näs' all mächtig hoch, nu drögen's dei noch höger. Aewer nich, wiel dat sei sick noch mihr inbilden deden, nee, blot üm den Geruch von dei Wust ganz tau kriegen. Sowat harrn's jo lang nich mihr raken, un dat sick sowat ok äten lät, doran dürften sei gornich denken. Ehr lep dat Water all in'n Mund tausamen, fählt nich väl, un sei füng'n noch an tau lickmün'n. Aewer uns' Kalsch let sick gornich stür'n. Uemständlich grawwelt hei in alle Taschen, hei künn sien Kniew nich fin'n. Endlich fünn hei dei ok in sien Reis'tasch.

   "So," säd hei, "so, nu man tau," korkt dei Brammwiensbuddel up, sned sick 'n anstännig Stück von dei Mettwust aw, kaute mit vulle Backen, nehm 'nen hartlichen Sluck ut dei Buddel un sehg so glaesig ut, as 'nen Meckelbörger utsüht, wenn em wat haegte, "so," säd hei noch eis, un sned werrer ein Stück von dei Mettwust dal, "dit is uns' Verfassung!"

   Ick weit nich, wat dei Berliner so fäuhlt hemm'n, aewer sei leten sick dat gornich anmarken, wenn's vielleicht ok innerlich vör Wut kakten. Blot ein künn dei Nigierd nich ganz ünnerdrücken. "Männeken," säd hei, "Sie essen dat ja ohne Brot!"

   "Brot steiht in uns' Verfassung nich in, dat's rennlicher so," wier dei Antwurt.

   Hei is so dei Krontüg' worden, dat dei Kal'schen nich daemlich sünd. Wo süll'n sei woll! Wi denken uns bi den Klas ok nicks', dat dauhn blot dei annern. Aewer lieker hemm'n wi wat an uns, dat mit dei Klaes' nicks tau dauhn hett, wat aewer nich sien sall, denn - wi maken in 'ne Frömd uns' Heimatstadt slecht. Wenn wi denn up uns lütt Landstadt tau spräken kamen, orrer wi warden fragt, wo wi her sünd, denn schämen wi uns tauirst, dat tau seggen. Wi trecken mit dei Schullern, maken dortau 'n recht wehleidiges Gesicht, unwenn denn dei anner würklich nich nah lett, denn seggen wi, un dorbi spräken wi meistendeils gäl: "Ach, das Nest!" Dormit denken wi, is dei anner taufräden, aewer nu hemm'n wi em grad nieglich makt, denn nu will hei ok noch mihr weiten. Ja, denn stahn wi dor as Bodder an dei Sünn, wiel dat wi in Würklichkeit un ut eigen Erläben herut gor nicks weiten, dat irgendwie paßlich wier, unsen Geburtsort slecht tau maken. Wen'n aewer A seggt hett, möt'n ok B seggen, dat's all ümmer so wäst, ward ok woll so blieben up des' Welt. Wiel dat wi nu sülben nicks weiten, kaugen wi all dat nah, wat all lang'n vör uns Großvadder un Urgroßvadder ok blot von "Hüren seggen" wüßten, dat dei Kal'schen rückstännig, oltmodisch, düsbaddelig, dumm un wat noch all wier'n, tauletzt wier ok kein gaudes Hoor mihr an dei Minschen un dei Stadt bläben. Blot ein grot Utnahm wier dor noch bi: Dei Verteller harr sienen Grips mit'n Nürnbarger Trichter krägen. "Gott sei Dank!" dacht hei, süß güng mi dat jo ok so as all dei annern, dei noch dor sünd.Dat hei dei Dümmst wier, dat föll em nich in. (Ick heww mi aewer vertellen laten, dat dat nich blot bi uns so is!)

   In dei Lag' sünd wi woll all eis wäst; ick ok. Aewer hüt kann mi dat nich mihr passier'n, hüt sing ick Lobeshymnen aewer mien Heimatstadt, denn dat Erläben, as ick dor as Kind grot würr, kann mi jo gorkein anner Stadt gäben. Allens Erläben in 'ne anner Stadt, un wenn uns dat noch so gaud geiht, möt verblassen, wenn in Gedanken dei Kinnerjohr vör mi stahn. Kann mi dat dei Frömd werrer gäben? Nee, segg ick, höchstens denn, wenn ich mit mien Jung's werrer jung warr.

   Ick denk dorbi an dat Kinnerfest. Wer kennt sei nich, dei meckelborgischen Kinnerfeste, dei wat Besonneres för sick sünd? Ick bün väl un wiet in'n dütschen Lann'n ümher kamen, aewer sowat Heimatliches heww ick nie werrer drapen; in dei mihrsten Gegenden kennten sei dat Kinnerfest aewerhaupt nich. Ick möchts in mien Erinnerung nich missen. Jedes Johr wier'n Jungs un Dierns wochenlang vörher ut Rand un Band, un wier'n irst werrer tau bändigen, wenn dei grot Dag herankamen wier. Bäter as dei Blaumen in dei Kränz, dei dei Dierns sick upsett't harrn, un bäter as dei Blaumen up dei groten Bögel, dei ümmer ein Poor drög, bläuhten dei Gesichter von all dei Kinner, dei sick tau den'n Utmarsch up'n Schaulhof infunn'n harrn. Dei in dei baebelst Klass', dei Ostern konfirmiert würden, wull'n jo all'n bäten "vernünftiger un gesetzter" sien un deden so, as wenn ehr dat all "kindisch" vörkem. In Würklichkeit slög ehr dat Hart genau so dull.

   Nich tau vergäten uns' Stadtmusik, dunnmals harrn wi noch 'ne städtsch Kapell. Dei harr sick an dei Spitz von den festlich gekledeten Tog sett't, un dei Kapellmeister - "Purter" säden wi Kinner - harr't genau so hild as all dat Kinnervolk, hei kek ümmer nah den Kanter hen, ob dei denn noch nich dat Teiken tau den Afmarsch gäben wull. Dei aewer lep as 'n Katteiker an den langen Tog up un dahl, grep hier in, makt dor Krach, bet denn all's sienen Schick harr. Endlich kem denn för dei Musik dat Teiken. "Nummer sieben! Aus das blaue Buch! Hinaus in die Welt!" kommandiert "Purter" un mit tschingtrara un bummtrara güng't los. "Hinaus in die Welt," spälte hei jedes Johr, blot mi dücht, jedes Johr wier't ne anner Melodie un aus "das blaue Buch" säd hei ok jedes Johr.

   Un uns' Ollen, dei tauirst ok dachten, dat dat woll nicks mihr för ehr wier, perrten denn ok langsam in'n Gliekschritt mit, dachten woll doran, as sei as Kinner lustig un vergnäugt utmarschierten, un dei Kontakt mit dei Jugend wier dor. In Gordbrauk begünn'n denn bald dei Kinnerfreuden. Pottslagen, Sacklopen, Eierlopen, Dubenscheiten wesselten miteinanner aw, wobi allerdings Fru Leverenzen feststellen müßt, dat dei Lihrer mit ehre "Päule" bäten ümherstöten ded, un den Paster sien Kinner bäten bäter behannelte; dat ehr "Päule" 'n bäten stiew wier, em dat twintig Mal verklort warden müßt, bet hei dat wüßt, wo hei in'n Kreis anfaten müßt, denn lieker nah dei verkiehrte Sied lep, dei Pasterkinner gelenkig, schlank un rank wier'n un up'n Kaneil paßten, dat künn ehr Mudderog' natürlich nich seihn, künn dei Freud aewer ok nich lang Awbruch maken. Harr'n wi denn abends den König un dei Königin nah Hus bröcht, denn künnen wi oft nich dorför inslapen, ob wi woll bi dat Scheiten 'n Pries kregen. Un in'n Drom repen wi noch ümmer "Vier Faut hoch," woans wi "Vivathoch" in' t Plattdütsch aewersett't harrn.

   Einmal kreg ick ok 'n Pries, 'n Tennisschläger - Racket seggt'n woll dortau - würr mi uthännigt. Ick kann aewer woll mit ruhigen Gewissen seggen, dat dei Tennissport ok trotzdem up dei hütige Höh kamen wier, wenn ick den Släger nich krägen harr.

   So künn ick nu noch stunnenlang biblieben, aewer ick hür all den Redakteur schimpen: "Minsch, nu holln S' man up, Sei weiten ümmer so väl tau vertellen, wi hemm'n doch noch mihr tau drucken, as blot von dei Klaes'," un dennso will ick för hüt man Sluß maken. Un wenn uns nu werrer ein fröggt, wo wi her sünd, denn seggen wi nich, dat wi ut so'n "lütt Nest" stammen, denn vertellen wi freudig, dat dat för uns keinen schöneren Urt giwwt as uns' Heimatstadt."


Hier noch einige Ergänzungen zu dem obigen Beitrag:


   Eine Prämie von 5 Pfennigen gab es in den Jahren 1885 bis 1890 für jedes abgelieferte Paar Krähenfüße. Diese Prämie, die im ganzen Land ausgesetzt war, kam den Neukalenern gerade zu recht; denn die Krähen waren hier bald mehr als nur eine Landplage. Zu hunderten umkreisten sie den Kirchturm, ließen sich auf die Linden am Markt nieder und machten einen höllischen Lärm. Ihre Nester hatten sie im Gartsbruch. Von diesem "Reichtum" abgeleitet entstand wohl auch der Ausspruch: "Dat sünd dei Kahl'schen Klaes".

   Das beschriebene Kinderfest wurde bis 1914 von dem Lehrer und Küster August Kliefoth, der an unserer Schule vom 1.10.1873 bis zum 1.10.1923 tätig war, liebevoll organisiert. Der I. Weltkrieg machte dieser schönen Tradition ein Ende. Im "Neukalener Wochenblatt" wurde das letzte Kinderfest, auf welchem es eine "Königin" und einen "König" gab, so beschrieben:

   "Neukalen, d. 1. Juli 1914. - Kinderfest! welch eine Welt von Entzücken liegt in diesem einen Wort für unsere Kleinen - und wie schnell nun auch der schöne Tag entschwunden, in den Herzen der Kinder bleibt er wohl noch lange als schöne Erinnerung lebendig. Freundlicher Sonnenschein lachte auf das Gewoge von Blumen, weißen Kleidern, Schärpen und Fahnen herab. Schier endlos war der festliche Zug, der auf dem schattigen Spielplatz angekommen, von Herrn Lehrer Kliefoth mit einer kurzen Ansprache begrüßt wurde und die von den Kindern mit einem fröhlichen "Hoch" beantwortet wurde. Nachdem man sich an Kaffee und Kuchen gestärkt hatte, eilte Alles zum fröhlichen Spiel; die Knaben an die Schießstände, die Mädchen scharrten sich um die Lehrerinnen zu hübschen Kreisspielen und heller Kinderjubel erscholl von Gruppe zu Gruppe, bis die untergehende Sonne an den Aufbruch mahnte. Unter Vorantritt unserer Stadtkapelle, die auch auf dem Festplatze unermüdlich mit ihren fröhlichen Weisen Herz und Ohr erfreut hatten, sowie des Schüler - Trommler - und Pfeifer- Korps ordnete man sich zum Einmarsch, um zunächst die Königin des Tages, die Schülerin Nicolai nach Hause zu geleiten, dann geschah das gleiche mit dem Schüler Penzlin als König des Festes. Auf dem Schulplatz angelangt, hielt Herr Lehrer Kliefoth die Schlußansprache und klang diese aus in dem Liede "Nun danket alle Gott"."

   Die letzte "Königin" war Frau Anneliese Rachow, geb. Nicolai (geb. 24.12.1900, gest. 5.7.1990). Sie hatte diese Feier bis in ihr hohes Lebensalter in bester Erinnerung behalten.