Wir wohnten im Eisenbahnwaggon
Ursula Reuter, geb. Schmidt
Ältere Einwohner in Neukalen werden sich noch daran erinnern, daß es bei der Ziegelei zwei Eisenbahnwaggon gab, die als Wohnung genutzt wurden. Darüber möchte ich berichten.
Nördlich der Ziegelei, um 1955
(links ist ein Eisenbahnwaggon zu erkennen)
Das obige Foto, aufgenommen um 1955, weckt Erinnerungen an meine Kindheit in Neukalen. Ich kann mich noch an diese Scheune und das Getreidefeld erinnern. Der Stall und der unterirdische Keller zwischen dem Stall und dem Bahnwagen existieren noch. Das Mädchen auf dem Foto könnte sogar ich sein im Alter von ca. 6 Jahren.
Mein Großvater, Friedrich Wilhelm Albert Schmidt (geb. 15.3.1877 in Parchim, gest. 22.12.1944 in Neukalen), kam 1925 mit seiner Frau und vier Kinder nach Neukalen und arbeitete als Zieglermeister auf der Ziegelei. Nebenbei betrieb er auch noch ein wenig Landwirtschaft. Seine Frau, also meine Großmutter, war Ida Hermine Anna Schmidt, geb. Drews (geb. 24.7.1893).
Anfangs wohnten meine Großeltern in der Bahnhofstraße 44. Mein Großvater wollte gerne ein eigenes Heim haben und näher an seiner Arbeitsstelle wohnen. 1934 ergab sich eine Gelegenheit, zwei alte Eisenbahnwaggon preiswert zu je 60 Reichsmark zu kaufen. Sie wurden am Bahnhof Neukalen von den Schienen gehoben, auf Rollen die Straße entlang zur Ziegelei gebracht und dort auf dem Schönfeld´schen Acker für Wohnzwecke aufgestellt. Hier richteten sich nun meine Großeltern mit ihren Kindern häuslich ein.
1944 verstarb Friedrich Schmidt. Sein Sohn, also mein Vater, Hans Schmidt (geb. 4.12.1922 in Rostock), heiratete am 8.6.1946 in Neukalen Helene Kalinkin (geb. 26.2.1923). Sie blieben weiterhin in den Eisenbahnwaggons wohnen. Die anderen Geschwister meines Vaters zogen mit ihren Familien weg. Eine Schwester, Anna Schmidt, verheiratete Kunst, wohnte bis 1961 mit Hilde Salow in der Fritz-Reuter-Straße 6. Dann verzog sie in die BRD.
Wir hatten vier Zimmer in diesen Waggons. Jedes Zimmer war so groß wie die normale Größe eines Waggons nun mal war. Es waren viele Fenster und Türen drin an den Außenwänden. Sie wurden aber alle zusammengeschweißt und die Trennwände zwischen den einzelnen Abteilungen rausgerissen. Auf dem Foto sehen wir die Küche. Sie war ausgestattet mit einer kleinen Abstellkammer. Hier war vorher die Toilette vom Waggon und wurde umgearbeitet. Damals hatte man ja geflieste Toiletten mit kleinen Fliesen und einer sehr hübschen Bordüre. Dadurch war die Abstellkammer sehr kühl.
Weiterhin hatten wir einen Holzkühlschrank drin mit einer Mitteltür und an beiden Seiten ein Fach für die Eisblöcke von ca 60 x 20 x 20 cm Größe. Geliefert bekamen wir die von der Molkerei in Neukalen. Das nächste Zimmer war das Zimmer von unserer Oma Ida Schmidt. Dann kam das Wohnzimmer unserer Familie und dann kam das Schlafzimmer.
Unsere Oma ernährte die Familie mit ihrer kleinen Viehwirtschaft und ihren Erträgen aus den Ackerstücken. Es wurde Milch abgeliefert, Tabak angebaut und jede Menge Rübenfelder bearbeitet um sich was leisten zu können. Schafe wurden geschoren, und ein Teil der Wolle wurde im Winter gesponnen, gefärbt und verstrickt. Der Rest wurde verkauft. Ich kann mich auch noch an unsere Butterzentrifuge erinnern und wie wir gebuttert haben. Das war Butter, die geschmeckt hat. Beheizt wurden die Waggons durch kleine Kachelöfen. Alles in allem war es gemütlich darin. Man hat sich wohlgefühlt.
Das Eigenheim wurde neben den Bahnwaggons errichtet. Der Abstand zwischen Bahnwaggon und Eigenheim war man gerade ca. 5 Meter. Wir zogen ca. 1957 nach der Geburt des 5. Kindes meiner Eltern ein. Wir lebten bis dahin in den Waggons mit 7 Personen (3 Erwachsene und 4 Kinder).
Verschrottet wurden die Waggons ca 1996 als das Einfamilienhaus zum Zweifamilienhaus umgebaut wurde.
Kinder von Ida und Friedrich Schmidt:
Ida Frieda Johanna Schmidt, geb. 18.8.1913 in Güstrow
Anna Lotte Minna Schmidt, geb. 1.12.1915 in Rostock
Friedrich Wilhelm Albert Schmidt, geb. 4.10.1918 in Rostock
Hans Hermann Herbert Schmidt, geb. 4.12.1922 in Rostock
Kinder von Helene und Hans Schmidt:
Hannelore Schmidt, geb. 15.2.1950, gest. 11.4.1950
Ursula Schmidt, geb. 1.4.1951
Gisela Schmidt, geb. 16.6.1952
Karl-Heinz Schmidt, geb. 11.1.1954
Monika Schmidt, geb. 11.1.1954
Klaus-Dieter Schmidt, geb. 9.4.1957
Ida und Friedrich Schmidt
Friedrich Wilhelm Albert Schmidt,
geb. 4.10.1918, gefallen im II. Weltkrieg am 29.8.1941
um 1974
Glückliche Kindheit
Ida Schmidt, Pfingsten 1979
Ida Schmidt und ihr Sohn Hans Schmidt
Luftaufnahme, etwa 1990,
links im Hintergrund die Eisenbahnwaggon