Jüdisches Stiftshaus
Der erste schriftliche Nachweis jüdischer Einwohner in unserer Stadt stammt vom 31. März 1757. Aus einem erhalten gebliebenen Protokoll geht hervor, daß zu diesem Termin die Schutzjuden Israel Marcus und David Hersch ihr halbjähriges Schutzgeld mit 12 Schilling ordnungsgemäß entrichteten.
In einem Bittschreiben der Neukalener Judenschaft an den Landesherrn vom 17.12.1760 ist eine Synagoge erwähnt, in der seit 1758 Gottesdienste durchgeführt wurden. Über Standort und Ausstattung dieser ersten jüdischen Kultstätte ist nichts überliefert. Wir können wohl davon ausgehen, daß es sich um eine Betstube handelte, die zur Wohnung eines jüdischen Gemeindemitgliedes gehörte.
Die Gebrüder Saalfeld aus Hamburg ließen 1843 in ihrem Geburtsort Neukalen eine neue Synagoge nebst einem Stiftsgebäude mit drei Wohnungen erbauen. Die Schenkungsakte lautet:
"Schenkungs - Acte
Da wir Endes unterschriebene Alexander Julius Saalfeld in Hamburg und Bernhard Julius Saalfeld in Altona uns entschlossen haben zu Ehren unserer seeligen Eltern, des zu Neukalden am 24. Mai 1827 verstorbenen Juda Samuel Saalfeld und dessen zu Hamburg am 26. August 1842 verstorbenen Wittwe Hindel, geb. Berendt Hirsch, in Neukalden eine Synagoge und neben derselben ein Wittwenhaus erbauen und einrichten zu lassen, demnächst aber der Juden - Gemeinde zu Neukalden zum vollen Eigenthum unentgeldlich zu überlassen und da besagte Gemeinde unser Erbieten unter Verwillkührung der von uns gemachten Bedingungen durch ihren Vorstand nützlichst angenommen hat, so ist nunmehr die gegenwärtige Schenkungs - Urkunde in duplo ausgefertigt und unterschriftlich vollzogen worden.
§ 1. Wir verpflichten uns nämlich hiedurch in Neukalden einen Platz zu erwerben und darauf eine Synagoge, sowie ein nach § 3 zu Freiwohnungen bestimmtes Haus für unsere Rechnung und Kosten erbauen und demnächst diese Grundstücke schuldenfrei der Juden - Gemeinde zu Neukalden in das dortige Stadtbuch eintragen zu lassen. Wir werden nicht ermangeln, hiezu die Genehmigung des löblichen Magistrats zu Neukalden dessen wohlwollenden Schutz und Obhut wir zugleich die von uns beabsichtigte Stiftung empfehlen, geziement nachzusuchen.
§ 2. Wir verpflichten uns ferner auch für die innere Einrichtung und Ausschmückung der Synagoge in allen ihren Theilen zu sorgen, dergestalt, daß der Gemeinde das Gotteshaus mit allen Gegenständen, welche wir zu dessen innerer Einrichtung und Ausschmückung erforderlich halten, überliefert wird.
§ 3. Das neben der Synagoge zu erbauende Haus soll drei Wohnungen enthalten und zwar zu folgenden ausdrücklich festgesetzten Bestimmungen, nämlich
a) eine Wohnung für den Gemeindelehrer
b) eine, für eine arme jüdische Wittwe
c) eine, für eine arme christliche Wittwe.
§ 4. Die Verwaltung des Stifts soll durch den jedesmaligen Gemeinde-Vorstand gemeinschaftlich mit zwei andern dazu qualificirten Männern geführt werden, die vor allem, so lange in dortiger Gemeinde mit uns verwandte oder verschwägerte Personen sich befinden, aus diesen gewählt werden sollen. Befinden sich aber deren keine mehr alldort am Leben, so sollen obseiten des Oberrabbiners in Schwerin, oder dessen Amtsvertreter, zwei Männer aus der Gemeinde in Neukalden zu Mitverwaltern gewählt werden.
§ 5. Die beiden für zwei Wittwen bestimmten Freiwohnungen sollen nur an solche Frauen, deren Lebenswandel tadellos ist und welche sich verpflichten müssen, die Wohnungen stets in einem reinlichen und ordentlichen Stande zu erhalten, verliehen werden, und soll die Wahl derselben in folgender Weise Statt finden: die jüdische Wittwe soll allein abseiten der Administration des Stifts unter denjenigen, welche sich in Folge vorgängiger Aufforderung bei dem Gemeinde-Vorsteher schriftlich gemeldet haben, nach Stimmenmehrheit gewählt, zu allen Zeiten jedoch einer uns verwandten und zur Aufnahme geeigneten Person der Vorzug unbedingt gewährt werden. Die Wahl der christlichen Wittwe aber soll in der Weise geschehen, daß vom löblichen Magistrate zu Neukalden drei dazu qualificirte Wittwen in Vorschlag gebracht und von diesen drei Wittwen eine abseiten der Administration des Stifts gewählt wird.
§ 6. Falls sich zur Zeit oder bei einer später eintretenden Vacanz keine jüdische Wittwe im Orte befindet, welche zur Aufnahme in die Freiwohnung sich eignet, so soll solche Wohnung einer betagten Jungfrau, oder wenn auch diese sich nicht vorfindet, einem tüchtigen bejahrten Manne jüdischen Glaubens überlassen werden.
§ 7. Sollten jedoch durchaus keine zu der besagten Freiwohnung sich qualificirenden Personen in der dortigen Israelitischen Gemeinde sich befinden, so soll die Administration des Stifts befugt seyn, diese eine Wohnung mit Ausbedingung vierteljähriger Kündigung zu vermiethen und den dafür zu erhebenden Miethszins der Gemeinde zum Besten der Synagoge oder deren Verwaltung zu übergeben. Sobald sich jedoch ein zur Aufnahme qualificirtes Individuum meldet, ist die Wohnung zu kündigen und demnächst jenen einzuräumen.
§ 8. Sollte der Gemeindelehrer aus einer oder der andern Rücksicht, die für ihn bestimmte Freiwohnung nicht beziehen wollen, oder können, so soll auch diese einer tüchtigen israelitischen Wittwe, wenn sich eine dazu vorfindet, überlassen, oder sonst damit, wie in den §§ 6 und 7 angeordnet ist, verfahren werden.
§ 9. Gegen diese der Juden - Gemeinde zu Neukalden von uns aus freien Stücken zum ewigen Andenken unserer seligen Eltern gemachte Schenkung, machen wir der gedachten Gemeinde die Erfüllung der nachstehenden von derselben angenommenen Bedingungen zur Pflicht.
1. Die Synagoge, sowie das Stiftsgebäude dürfen niemals mit Hypothekarischen oder sonstigen Schulden belastet werden.
II. Die genannten Gebäude müssen zu ewigen Zeiten auf Kosten der Gemeinde im baulichen Stande erhalten und die nöthigen Reperaturen stets daran vorgenommen werden, so wie die Gemeinde verpflichtet ist, alle jene Gebäude betreffenden öffentlichen Lasten und Abgaben zu tragen.
III. Bei jeder Todtenfeier in der Synagoge sollen die Namen unserer Eltern laut und vernehmlich vorgetragen werden so wie nach unsern dereinstigen Hinscheiden auch unsere Namen bei dem erwähnten feierlichen Acte eingeschaltet werden müssen.
IV. Der bereits von unserm Vater geschenckte Vorhang vor der heiligen Lade soll, so lange er im guten Stande, wie bisher an den Fest und Feiertagen, auch in der neuen Synagoge benutzt werden.
V. Die Synagoge so wie das Stiftsgebäude sollen zum Andenken unserer genannten Eltern, zu ewigen Zeiten, deren Namen tragen. Die von uns näher zu bestimmende Inschrift, die wir zu dem Zwecke in Stein gehauen über den Eingang der Gebäude anbringen lassen werden, muß ebenfalls von der Gemeinde auf ihre Kosten zu ewigen Zeiten in guten lesbaren Stande erhalten werden.
Die Juden - Gemeinde zu Neukalden exceptirt durch Unterschrift ihres Vorstandes das denselben in Vorstehendem gemachte Geschenk unter Uebernahme der ihr dagegen auferlegten Bedingungen. Beide contrahirenden Theile versprechen sich die getreue Erfüllung aller in vorstehender Schenkungsacte enthaltenen Verbindlichkeiten, unter ausdrücklicher Entsagung aller etwa dagegen ihnen zustehenden Einreden.
So geschehen Hamburg am 15. Juny des Jahres Achtzehnhundertdreiundvierzig und Neukalden, am 25. July 1843.
No. 2469 Stb. d 16. Juny 1843
Der Vorstand der Juden - Alexander Julius Saalfeld
Gemeinde zu Neukalden Bernhard Julius Saalfeld
H. Freudenthal M. Löwi als Schenkgeber“
1887 gab es nur noch wenige jüdische Familien in Neukalen. Die israelitische Gemeinde beschloß deshalb, sich aufzulösen und die vorhandenen Gebäude zu verkaufen. Nach Genehmigung durch das Ministerium für geistliche Angelegenheiten in Schwerin vom 28.2.1900 erfolgte der Anschluß der jüdischen Gemeinde zu Neukalen an die Darguner am 1.3.1900.
Die Synagoge wurde meistbietend verkauft und bis auf den vorderen unteren Mauerteil abgerissen.
Das Stiftshaus übernahm die Stadt und verkaufte es später. 2009 erfolgte eine gründliche Sanierung dieses Wohnhauses.