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Ein eigenartiger Straßenraub in Neukalen 1885


   "Ein in seiner Vorbereitung eigenartiger Straßenraub bildet den Gegenstand der heute zunächst zur Verhandlung kommenden Strafsache gegen den Schlachtergesellen Dornevas aus Buckau bei Magdeburg. Nach den zeugeneidlichen Aussagen des Beschädigten, des Schmiedegesellen Josat aus Vicktupönen war der Vorgang der folgende: Josat wanderte am 15. Sept. d. J. von Dargun, wo er in Arbeit gestanden hatte, mit 8,25 Mark in der Tasche nach Neukalen. Unterwegs traf er einen ihm den Namen nach unbekannten Schlachtergesellen, der über Hunger jammerte. Aus Mitleid erbot er sich, ihm etwas zu essen geben zu wollen, wenn er, der von Neukalen kam, mit ihm dorthin zurückkehren wolle. Der Unbekannte nahm den Vorschlag an, und Josat ließ ihm in Neukalen etwas zu essen geben. Dabei tranken beide ein paar Schluck zum Gesamtpreise von 10 Pfennig. Josat wollte nun in die Herberge gehen. Der Unbekannte begleitete ihn. Vor dem Laden des Kaufmanns Zingelmann trafen sie auf den Angeklagten, der sie um einen Schluck ansprach. Da sie keinen hatten, machte Josat den Vorschlag, einen zu kaufen. Josat gab 5 Pfennig, der Angeklagte 4 Pfennig - den Rest seines Geldes - und der Unbekannte 2 Pfennig; für diese 11 Pfennig wurden 3/4 Liter Branntwein gekauft und vor der Thür des Kaufmanns ausgetrunken. Obwohl Josat sich dagegen sträubte, faßten ihn seine Begleiter nunmehr unter die Arme und gingen mit ihm zur Herberge. Der Herbergswirth hielt Josat für betrunken und wehrte ihm den Eintritt mit der Empfehlung, dorthin zu gehen, wo sie sich betrunken hätten. Josat setzte sich vor der Thür der Herberge nieder, wurde jedoch von seinen Begleitern mit Gewalt fortgerissen und niedergeworfen, weil er nicht mitwollte. Jetzt holte der Angeklagte eine in der Nähe stehende Schiebkarre herbei. Josat wurde auf dieselbe geleget und mit der Karrenleine derart auf der Karre festgebunden, daß er nicht herunter konnte. So wurde er um die Mittagszeit unter den Augen des Herbergwirths und sonstiger Neukalener Einwohner, sowie einer großen Kinderschaar fortgefahren! Seine Hülferufe wurden nicht beachtet, - man hielt ihn für betrunken. Der Angeklagte fuhr die Karre eine große Strecke auf die Chaussee hinauf und hier an den etwa 2 Meter tiefen Chausseegraben, löste die Fesseln des Josat, kippte die Karre um und ließ Josat in den Graben fallen. Der Angeklagte forderte ihn jetzt auf, sein Geld herzugeben. Auf Josat´s Antwort, er habe nichts, schickten seine Begleiter sich an, seine Kleidung zu durchsuchen. Josat legte sich auf den Bauch, um zu verhindern, daß sie in seine Taschen faßten, man kehrte ihn um, Angeklagter kniete auf ihm, und Beide nahmen ihm sein Geld ab, außerdem aber auch bis auf ein Schurzfell, ein Paar Holzpantinen, eine Arbeitsmütze und ein von ihnen zerrissenes Hemde seine sämmtliche Kleidung und Geräthe, die er in einem Berliner bei sich trug. Um ihn am Schreien zu verhindern, hatten sie ihm ein Stück des aus dem Berliner entnommenen Hemdes in den Mund gestopft. Sich ernstlich zu wehren, hatte er in der Befürchtung unterlassen, "daß sie ihm sonst die Knochen entzweigeschlagen hätten." Sofort, nachdem seine Begleiter ihn verlassen, hat Josat den Vorfall bei dem in Neukalen stationirten Gendarmen Paetow und später auch beim Amtsgerichte angezeigt. Der Gendarm hat die Verfolgung der Übelthäter sofort aufgenommen. Er hat den Angeklagten gefaßt, während der Unbekannte - es soll dies ein Schlachter Meyer aus Neubrandenburg sein - davongelaufen ist und noch jetzt steckbrieflich verfolgt wird.
   Der Angeklagte, welcher vielfach wegen Unfugs, Bettelns, Landstreichens, wegen Sachbeschädigung und Arbeitsscheu bestraft worden ist, sich auch bereits zu 3 Malen längere Zeit in Correctionsanstalten befunden hat, giebt zwar zu, daß er den Josat, weil derselbe vollständig betrunken gewesen und weil man sonst mit ihm nicht hingewußt, auf Rath des Unbekannten auf die Schiebkarre geladen und ihn dort ausschlafen zu lassen, räumt auch ein, daß er dem Josat 5,24 Mark und sein Begleiter dessen Kleidungsstücke fortgenommen habe, behauptet jedoch, daß er sowenig wie der Unbekannte gegen Josat irgend welche Gewalt angewendet hätten. Josat sei soweit zugewesen, daß man mit ihm habe machen können, was man wollte, und wenn Angeklagter die Füße des Josat an die Karrenbalken gebunden habe, so sei dies nur deshalb geschehen, weil sie ihm beim Schieben der Karre im Wege gewesen seien. Übrigens habe auch er scharf getrunken gehabt. Bevor er die Füße des Josat festgebunden, habe er, um die Kinder zu verjagen, die Karre mehrere Male niedergesetzt; wenn Josat nicht zu betrunken gewesen, habe er dann ja davongehen können.
   Der Herbergswirth giebt das Zeugniß ab, daß Josat total betrunken gewesen sei, als er mit dem Angeklagten und dem Unbekannten zu ihm gekommen. Auch andere Zeugen haben den Josat für betrunken gehalten. Niemand will gehört haben, daß er um Hülfe gerufen und ein Zeuge sogar bemerkt haben, daß er, als er auf der Karre saß, gelacht habe. Der Gendarmerie - Wachtmeister will an Josat nichts von Betrunkenheit bemerkt haben, und der Actuar, welcher seine Anzeige zu Protocoll genommen, bekundet, daß Josat derzeit nicht betrunken gewesen sei.
   In ihren Ausführungen bezüglich der Schuldfrage gelangen der Staatsanwalt zu dem Antrage auf Schuldig, der Vertheidiger zu dem Resultate, daß der Angeklagte nur wegen Diebstahl bestraft werden könne, weil es an einem ausreichenderen Beweise der zu den Thatbestandsmerkmalen des Raubes gehörigen Gewalt fehle und die bloße Möglichkeit, daß Gewalt angewendet, niemals zur Verurtheilung führen könne. Dem gegenüber wird von dem Ersten Staatsanwalt hervorgehoben, daß auch die Anwendung der Gewalt auf Grund der Aussage des Josat als bewiesen angenommen werden müsse, denn der Josat sei nicht sinnlos betrunken gewesen, wie sich schon daraus ergebe, daß er bald nach dem Vorfalle in vernünftiger Weise detaillirte Angaben über denselben gemacht habe.
   Nach dem Spruche der Geschworenen, verkündet vom Amtmann Baron von Ketelhodt - Gadebusch, ist der Angeklagte des Raubes schuldig und sind ihm mildernde Umstände nicht zugebilligt. - Der Angeklagte wurde in eine Strafe von 6 Jahren Zuchthaus verurtheilt, und die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf gleiche Dauer abgesprochen. Gleichzeitig wurde auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt."