Der Werder
(eine Neukalener Landschaft)
Wolfgang Schimmel - 1994
Die Teichweide mit dem "Werder" im Hintergrund.
Die sogenannte Teichweide mit den Werderbergen hat jahrhundertelang das Landschaftsbild unseres Städtchens mitbestimmt.
Wie ist nun diese Landschaft entstanden, und wie haben unsere Vorfahren mit ihr gelebt?
Die Niederung zwischen Schlakendorf und den Lelkendorfer Höhen entstand während der letzten Eiszeit. Bis in das 16. Jahrhundert hinein war hier eine große Wasserfläche vorhanden, die in der Gründungsurkunde Neukalens besondere Erwähnung im Zusammenhang mit der Fischereigerechtigkeit findet ("in dem sehe Wutzelense"). Der Name des Sees "Wutzelense" stammt wahrscheinlich schon aus slawischer Zeit. Der See ist auf einer Karte des Tileman Stella aus dem Jahre 1552 noch sehr deutlich eingezeichnet. Auf dieser Karte wird der aus westlicher Richtung kommende Wasserlauf (die heutige Peene) als "wustelennse fl:" bezeichnet (fl: = Fluß).
Ausschnitt einer Karte des Tilman Stella aus dem Jahre 1552 (oben ist Süden)
Der See muß aber schon damals zum größten Teil verlandet gewesen sein, denn in der Fischereiamtsrolle von 1572, die sonst sehr ausführlich über die Fischereigerechtigkeiten berichtet, wird ein See "Wustelense" nicht mehr erwähnt. Es ist nur noch von "dem Bache" die Rede, wie man übrigens lange Zeit nur von dem Bache (Beke) sprach und damit die heutige Peene meinte. Die gesamte Niederung westlich der Stadt Neukalen war also zu einem Moorgebiet geworden. Durch die Aufstauung an der Wassermühle war diese Fläche, besonders in niederschlagsreichen Zeiten, zum größten Teil überschwemmt. An eine wirtschaftliche Nutzung war nicht zu denken. Das änderte sich erst, nachdem auf Grund zahlreicher Beschwerden der angrenzenden Grundbesitzer sowie des Neubaus einer Windmühle die Bollwerke an der Wassermühle am Ende des 18. Jahrhunderts weggerissen wurden. Die große Moorfläche wurde nach und nach durch Ziehung von Gräben trockengelegt. Zahlreiche Erlensträucher mußten ausgerodet werden. Mit der beginnenden Beweidung entstand auch der Name "Teichweide" für dieses Gebiet.
In die Teichweide ragt von Norden her ein größerer Moränenhügel hinein. Es ist der sogenannte Werderberg, der bereits im ältesten Stadtbuch 1399 ("werdere") genannt wird. Die hier stehenden Eichen, wohl bis zu fünfhundert Jahre alt, sind die Überreste eines mittelalterlichen Schweinemastwaldes. Es war damals üblich, sein Schweinchen zur Mast in den Wald zu treiben und der Obhut des Schweinehirten zu überlassen. 1718 war das Hütungsgebiet so stark in Mitleidenschaft gezogen, daß jeder Bürger Neukalens im Herbst eine junge Eiche auf dem Werder zu pflanzen hatte. Wörtlich heißt es in einem Kommissionsprotokoll von 1718 darüber:
"Gravamina 8 (Beschwernis)
Wan Bürgmeister und Raht etzliche mahl daß werder mit Eichen bepflantzet und die jungen Eichbäume herfür gewachsen, sind solche vorsetzliche abgemehet und auß gehütet worden, da doch solche pflantzung zum allgemeinen besten der Stadt geschehen.
Resolution (Entschluß)
Weilen die bürgerschafft diese abmeh- und hütung selbst miß billiget, und in Verschlag bringet, daß es guht sein möchte daß ein jeder bürger eine junge Eiche auff den Werder, zu deßen besten auffnehmen, hinpflantzte, solches auch von der Hochfürstl. Comission approbiret worden. So wirdt Bürgermstr. und Raht Committiret dennen bürgern und Einwohnern ansagen zu laßen, daß ein jeder auff den Herbst ein junge Eiche da hin pflantzen soll, wie dan auch diejenigen welche auff diesen wörder oder den jungen Eichen schaden zufügen würde exemplariter zu bestraffen."
Dieser Beschluß wurde gewissenhaft eingehalten. Bald waren auch der sogenannte Eschenwerder, die Krohnswiese und der Börningsbrink mit Eichen und Buchen bestandene Waldstücke, die als Holzweide für die Ochsen und als Mastweide für die Schweine benutzt wurden.
Der "Werder" auf einer Karte
der Neukalener Feldmark von 1727.
1773 waren die Stadtschulden stark angewachsen. Der Magistrat beschloß deshalb, die Buchen auf dem Werder abholzen zu lassen und zu verkaufen. Diese Entscheidung fiel der Stadtobrigkeit nicht leicht, aber anders waren die Schulden nicht zu tilgen. Die Buchen wurden für 800 Reichstaler an einen Herrn Dollberg in Dargun verkauft. Die Eichen jedoch blieben auf den Hörstern und als Grenzmarkierungen stehen.
Nach Rodung der Baumstümpfe wurde die Fläche in Acker- und Wiesenland aufgeteilt und öffentlich verpachtet.
Auf der Schmettau - Karte aus dem Jahre 1788 ist die Niederung westlich Neukalens als "Das Große Moor" bezeichnet. Inselartig erhebt sich daraus der "Ackerwerder". In den ersten Jahren wurden zur damaligen Zeit noch ungekannte Ernten auf diesen Flächen erzielt. Besonders in den Wiesenkaveln war ein zwei- bis dreimaliger Schnitt keine Seltenheit. Nachdem jedoch im Laufe der Jahrzehnte die Humusschichten vollständig ausgesogen waren, ließen die Erträge nach, und bald fand sich kein Pächter mehr für den "Sandacker".
Ausschnitt aus der Schmettau - Karte von 1788
Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts teilte man die Neukalener Feldmark noch in drei Schläge ein: Werderschlag, Warsower Schlag und Salemer Schlag. Als der Werder jedoch seine Bedeutung als Ackerland verlor und zum Weideland wurde, nannte man die Ackerstücke am Lelkendorfer Weg Lelkendorfer Schlag. Zum Werder führte der Werderweg. Er ist mit Bildung der großen Ackerflächen in den 60ger Jahren unseres Jahrhunderts verschwunden.
Eine sehr anschauliche Beschreibung über die Teichweide liegt aus dem Jahre 1818 vor, als der 76jährige Schneidermeister Heinrich Stüdemann - als alter Neukalener Einwohner - befragt wurde und berichtete:
"Was ihm von dem Wasserstande hier bei Neukalden aus früherer Zeit wissend sey, sey folgendes
Vor Erbauung der Windmühle habe hier vor dem Mühlenthor eine Wassermühle gestanden, welche vor ohngefähr 50 bis 52 Jahren abgebrochen sey. Bis zu dieser Zeit wären die Plätze, welche jetzt mit den Nahmen, im Teich, Kronswiese, Ükerbruch, Torfmoor, Mühlenwiesen, Eschwerder, Mühlenbruch, Werderbruch, und Gänsewinkel belegt würden alles ein See und Rohrplagen gewesen, das Rohr sey zur Winterzeit unter Aufsicht der Viertelsleute von Stadtwegen geworben, und nachdem die Stadt diese Werbung vollendet, sey es der Bürgerschaft frei gegeben, eine Nachwerbung zu halten. Die Stadt habe ihr geworbenes Rohr, welches die Bürger nach vorheriger Ansage unentgeldlich werben müssen, nach der umliegenden Gegend hin verkauft - der jetzige Werder sey vor und nach dem 7jährigen Kriege als Holzweide für die Ochsen benutzt, es hätten sehr viele büchene Bäume darauf gestanden, welche nach dem 7jährigen Kriege zum Besten der Stadt verkauft worden wäre, um daraus die Schulden des Krieges zu bezahlen. Nach Abräumung des Holzes sey derselbe in Ackercaveln gelegt, und meistbietend verpachtet, jetzt aber vor etwa 5 Jahren der Weide wiederum beigelegt worden. Wie die Wassermühle gelegt worden sey, sey der Wasserstand so niedrig geworden, daß das Rohr und Weidebusch, welches auf den vorbezeichneten Plätzen gestanden, habe ausgeradet werden können. Am Ackerholz habe das Wasser im Frühjahr bis an den Acker gestanden, und selbst die wenigen Eichen, welche noch am Saum des Ackers ständen, seyen zuweilen umflossen gewesen. Weide hätten sie hier nicht weiter gehabt als was die jetzige Pferdekoppel und die sogenannte schwarze Erde sey - zuweilen bei schlimmen Wetter hätten sie das Krause Eichenbruch und das Weidekoppelbruch benutzt. Er selbst habe das Rohr im Stadtdienste mit werben helfen und daher könne er diese seine Aussage als der Wahrheit gemäß erforderlichen Falls eidlich erhärten."
Hierzu ergänzte der 67jährige Bäckermeister Heinrich Schröder u.a.:
"... Alle übrigen genannten Stellen, auch das sogenannte Schüttland, wären zum Theil mit Weiden, Ellerbusch und Rohr bewachsen gewesen, es habe nie Vieh dort geweidet werden können, und bis zur Legung der Wassermühle hätte die Stadt eine bedeutende Rohrwerbung*) gehabt.
*) gemeint ist das Schneiden und Einbringen von Schilfrohr
Bey dieser Rohrwerbung, welche unter Aufsicht der Viertelsleute und vorheriger Ansage durch die Bürger unentgeldlich geschehen, hätten sie dicht bey der Wassermühle angefangen, und bis zum Werder hinauf Rohr geschnitten, und nachdem die Stadt die beßten Stellen Rohr geworben gehabt, wäre die Nachwerbung den Bürgern zur eigenen Benutzung frey gegeben. Nach und nach hätte sich das Rohr verlohren, und da wäre denn das Busch ausgeradet und alle benannten Stellen zu Wiesen und Weide gemacht."
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist also die große Peeneniederung westlich der Stadt nach und nach trockengelegt und das Strauchwerk ausgerodet worden. Die Wiesen wurden zum Teil städtischen Angestellten zur Verfügung gestellt. So hatten um 1837 die vier Viertelsleute jeder eine Wiese in den "Krohnswiesen", der Postmeister einen Teil der "Mühlenwiese", die vier Ausschußbürger teilten sich die "Häfenwiese" und der Rat besaß die "Barkplage". 1842 erfolgte die Ausrodung und Urbarmachung des "Mühlen-" und des "kleinen Werderbruches".
1845 heißt es in einer Beschwerde der Bürgerschaft:
"Der Werder ist zur Hälfte auf 4 Jahre verpachtet gewesen, die Pachtzeit ist im vorigen Jahre abgelaufen, und dagegen ist die andere Hälfte des Werders wieder verpachtet, aber keineswegs ist dafür Sorge getragen, daß die erste, aus der Pacht gekommene Hälfte wieder mit Klee, oder Grassamen besäet worden, der ganze Raum ist so kahl, wie eine Lehmdiele und unsere Kühe müssen darunter leiden, indem sonst die Weide dort denselben am behülflichsten war, und aber gar keine trockene Weide für sie da ist, was bei eintretender passiver Witterung unsere Not noch erhöhen würde."
1848 sprach sich die Bürgerschaft dafür aus, das gesamte Gebiet zu einer großen Koppel einzuhegen. Neben den beiden anderen Koppeln am Kummerower See standen nun den Neukalenern Ackersleuten insgesamt drei ausreichende Koppeln zur Verfügung, in welchen Pferde und Füllen nach Belieben der Besitzer weideten. Die Kühe wurden abwechselnd auf den Koppeln untergebracht. Jedem Bürger stand es damals frei, seine Kühe in der Koppel übernachten oder vom Hirten in die Stadt treiben zu lassen. Bis heute ist dieses Gebiet dann beweidet worden.
Geht man vom "Kuhdamm" her über den Bahnübergang auf die Weidefläche, so sieht man links den "Preistergraben", welcher für die Entwässerung der Weide gezogen wurde. Nach einigen hundert Metern erreicht man den Melkstand, welcher auf einer halbinselartigen Anhöhe, dem sogenannten "Hanswinkel" eingerichtet wurde. Dahinter befand sich noch bis vor etwa zwanzig Jahren eine sumpfiger Stelle. Das war das "Ükerbruch". Es wird schon im ältesten Stadtbuch 1399 ("Vkerbruk") genannt. "Ücker" ist ein slawischer Gewässername. Gleich neben dem "Ükerbruch" befand sich ein Teich, der in alten Schriften als "der Teich" bezeichnet wird und nach welchem das Gebiet noch heute "Teichweide" genannt wird. Umsäumt wurde er von der "Ükerbrincksweide".
Weiter westlich, neben der Bahnlinie, ragen zwei mit Eichen bestandene kleine Hügel aus der Niederung. Es ist der große und der kleine "Horst".
Der kleine Horst
Der große Horst
Nachdem wir weiter eine sumpfige Weidefläche überquert haben, erreichen wir den Werderberg. Nach alten Angaben umfaßt seine Größe 8367 Quadratruten. Er ist mit einigen Eichen und Buchen bestanden. Verschiedentlich bedecken Schlehdorn- und Hagebuttensträucher die Erhebung. Auf dem Hügel ist auch ein äußerst selten vorkommendes Hochmoor zu finden; Binsen, einige Krüppelkiefern und ein uralter Hagebuttenstrauch wachsen dort.
Das Hochmoor auf dem Werderberg
Im nordwestlichen Teil des Werderberges hinterläßt eine eigenartige, grabenförmige und im Halbkreis verlaufene Senke beim Besucher den Eindruck, daß hier vielleicht einmal von Menschen gegraben worden ist, um einen befestigten Siedlungsplatz zu schaffen. Schon Carl Voß schrieb vor vierzig Jahren über den Werderberg:
"Wer heute mit sehenden Augen den kahlen Werderberg betrachtet, neigt unwillkürlich zu der Annahme, daß in grauer Vorzeit dort eine germanische oder slawische Siedlung bestanden hat. Auch sind dort bei den großen Abgrabungen um 1888 viele Steinbeile, Speerspitzen und Tonscherben gefunden worden."
Um 1888 wurde vom südlichen Teil und aus der Mitte des Werderberges Sand abgegraben für Dämme an der Peene und Ausbesserung von Wegen. Die Senke in der Mitte des Berges ist inzwischen wieder bewachsen. Die zurückgelassenen Steine und der karge Bewuchs bilden ein ideales Lebensfeld für Eidechsen und andere Kleintiere. Typische Pflanzen, die auf trockenem Sandboden mit sonnigem Standort gedeihen, sind hier zu finden. Die Beweidung hat der Natur nicht geschadet.
Am östlichen Hang hatte sich der Kuhhirte eine kleine Hütte aufgebaut. Hier übernachtete er im Sommer bei seiner Herde. Oft saß er an schönen Tagen in beschaulicher Ruhe vor der Tür und freute sich am Gesang der zahlreichen Vögel. Niemand störte den Frieden.
Die Hütte des Kuhhirten am Werderberg
(Aquarell von 1962)
Vom Werderberg haben wir eine schöne Aussicht auf die weite Peeneniederung und die Höhen der Mecklenburger Schweiz. Man erblickt unweit den "Börningsbrink", die "Mühlenwiese", die nach den hier lebenden Kranichen benannte "Krohnswiese", den "Eschenwerder" und das Gebiet der "Birkplage", welches 1874 durch eine Veränderung des Peenelaufes gewonnen wurde.
Alte Eichen und friedlich weidende Kühe bestimmen dieses Landschaftsbild.
Am Werderberg
Am Werderberg
(Aquarell von 1962)