Der Ausmarsch der “Grandmonarchen” 1885
Carl Voß
(* 1878 + 1958)
In den Jahren 1884 - 1886 wurde hier die Chaussee nach Gnoien gebaut. Es waren cirka hundert fremde Arbeiter dabei beschäftigt, welche aus aller Herren Länder zusammengewürfelt waren. Hier arbeitete der entlaufene Unteroffizier neben dem ehemaligen Studenten, der bereits seine 14 bis 18 Semester absolviert hatte, ohne sein Examen machen zu können. Kurz gesagt, es waren alles Leute, welche im Leben Schiffbruch erlitten hatten und nun, alle gleich, mit Schaufel und Hacke arbeiteten. Daher stammte auch ihr Beiname : "Grandmonarchen".
In einer großen Bretterbude, errichtet neben dem Chausseeplan, hausten sie. Nebenan lag die Kantine, aus welcher sie ihre sämtliche Verpflegung erhielten. So kam im Sommer 1885 das Königschußfest heran, und auch die "Grandmonarchen" hatten die behördliche Erlaubnis eingeholt, am Sonntag mit ausmarschieren zu dürfen. Für Ruhe und Ordnung zu sorgen, hatte sich der betreffende Schachtmeister für seine Leute verbürgt.
Der langersehnte Sonntag kam endlich heran und mit ihm das allerschönste Sommerwetter. Nachmittags um 3 1/2 Uhr marschierten denn cirka 40 - 50 Mann im Gleichschritt mit klingendem Spiel vor dem Hause des Bürgermeisters Mau in der Mühlenstraße auf. Wir wollen uns nun noch einmal unsere Leute genauer ansehen. Ihre Musikkapelle bestand aus zehn Mann mit vier Kindertrommeln und sechs Blechflöten, das Stück zu 10 Pfennig. Kaum die Hälfte der Mannen hatte Schuhe an, die anderen liefen barfuß; und da es ein schöner Sommertag war, hatten sie nur Hemd und Hose an. Aber alle waren lustig und fidel. So marschierten sie in gleichem Schritt und Tritt nach dem Marschlied "Hinaus in die Ferne" vor das Haus des Bürgermeisters. Der Tambourmajor, der als Zeichen seiner Würde eine durch-lochte Semmel an einem Sacksband um den Hals trägt, bittet den Herrn Bürgermeister auf ein paar Minuten heraus und begrüßt ihn mit folgender Ansprache:
"Sehr geehrter Herr Hofrat! Gestatten Sie mir zunächst, daß ich als Obergrandmonarche Ihnen, Herr Bürgermeister, im Namen aller meiner hier versammelten Kameraden recht herzlich dafür danke, daß Sie uns eine große Freude bereitet haben, indem Sie es uns ermöglichten, an dem heutigen Volksfeste als Ehrengäste teilzunehmen.
Wir bitten Sie, unserer äußeren Ausstattung keiner peinlichen Musterung zu unterziehen, denn bei uns heißt es: "Omnia mea, mecum porto" (Alles, was wir besitzen, tragen wir auf dem Leibe). Doch alles, was wir an haben, ist rein und sauber. Gleichfalls ist das Herz jung und froh. Und nun genehmigen Sie, hochverehrter Herr Hofrat, unsere allergrößte Hochachtung. Wir bitten Sie, behalten Sie die Grandmonarchen in gutem Gedenken.
Und nun bitte ich Euch, liebe Monarchen, mit mir einzustimmen in den Ruf:
Der Herr Hofrat Mau soll leben, vivat hoch - hoch - hoch!"
Aus vierzig kräftigen jungen Kehlen klang das Hoch in die stille Straße hinaus. Alsdann ging es ohne Tritt zum Marktplatz, woselbst sie im Anschluß an die Zunft den Ausmarsch nach dem Gartsbruch mitmachten und daselbst einen frohen Nachmittag verlebten.
Es waren lauter gesunde frohe Menschen. Was konnten sie dafür, daß das Schicksal sie aus der Bahn geworfen hatte? Sorgen machten sie sich nicht, und war die eine Chaussee fertig, so fingen sie bei der nächsten an.
Die Grandmonarchen verlebten also hierorts im Gartsbruch einen feuchtfröhlichen Nachmittag.
In der Bude von Hanning Jörß, dem Herbergswirt, gab es ein Seidel Bier für 10 Pfennig und einen großen Schluck für 5 Pfennig. Es ging alles friedlich zu. Kam es einmal, oder schien es so, als ob es Lärm und Streit geben würde, so beförderte der Schachtmeister Hunger mit ein paar handfesten Gesellen die betreffenden Kampfhähne seitwärts in die Büsche.
Ob jedoch am Abend beim Einmarsch in die Stadt unsere Monarchen noch ebenso gerade in Reih und Glied wie am Nachmittag marschierten, darüber war in den Akten nichts zu finden.