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Der Peekschlitten

 

Günther Brüdigam

 

   Es war im Winter 1945/46 und es war bitterkalt. Ich war ein Schuljunge von 9 Jahren und sollte eigentlich die Schule (2. Klasse 2. Halbjahr) besuchen, aber es wurde noch nicht wieder unterrichtet. Der Ratmannsteich war zugefroren und die Kinder und Jugendlichen liefen auf dem Eis mit Schlittschuhen oder fuhren mit dem Peekschlitten 1). Das sah so einfach und galant aus, dass ich bei meiner Mutter bettelte, auch so einen kleinen Schlitten zu bekommen. Natürlich gab es nach dem verheerenden Ende des Krieges nichts zu kaufen und die Sorgen gingen hauptsächlich darum, wie man am nächsten Tag halbwegs satt wurde. Meine Mutter hatte jedoch Verständnis, nahm mich bei der Hand und wir gingen zu einem Stellmacher 2) in der Nähe des Teiches. Sie erreichte es auch, dass so ein kleiner Schlitten für mich angefertigt wurde. Wie und womit sie bezahlte weiß ich nicht, aber ich war überglücklich, nun einen so schönen Peekschlitten zu besitzen und ging damit gleich aufs Eis.
 
   Aber er rutschte nicht so recht, denn er hatte noch keine Stahlkufen und ich hatte ja auch noch keine Peekstange! Also ein neues Problem, dass es zu lösen galt. Bei einem Schmied, in meiner Erinnerung auch am Teich gelegen, versuchten wir unser Heil. Nett und freundlich wollte er uns helfen, hatte aber keinerlei Material. Die Not war groß und wir barmten, was zu machen sei. Da gab er uns den Rat, wir sollten doch auf die Weiden am Rande des Ortes gehen und dort ließe sich sicherlich ein Stück Weidenzaundraht finden.
 
   Und wir fanden auch die benötigte Menge! Damit wieder zum Schmied. Im Schmiedefeuer klopfte er jeweils die beiden Enden der Drähte breit, versah sie mit kleinen Löchern und nagelte sie unter den Schlitten. Nun hatte mein Peekschlitten aus der Not geboren auch Kufen, aber nicht aus breitem Stahlblech sondern aus Draht. Aus einem alten Stück Eisen schmiedete er auch noch die spitze Peeke. Ein alter Besenstiel ließ sich auch auftreiben, und nun konnte es losgehen.
 
   Doch es war zunächst gar nicht so einfach zu fahren und die kleinen Kurven sicher zu überstehen. Bei so mancher Übung lag ich dann auf dem Eis. Aber nach einigen Tagen Übung klappte es schon recht gut. Die größeren Jungen erzählten uns, dass sie auf dem Kummerower See gefahren seien. Das wollten wir, mein Freund Joachim Hopp und ich, nun aber auch versuchen. Wir gingen mit unseren Schlitten zur Peene und am Hafen stiegen wir auf das Eis der zugefrorene Peene. Es machte uns viel Spaß durch die Niederungen des Flusses zu fahren und ohne große Anstrengungen kamen wir auf den See. Der war eigenartig zugefroren, indem er große Flächen mit kribbligen aufgeworfen Eisstückchen aber auch große, glatt zugefrorene Bereiche besaß, auf denen man bis auf den Grund des Sees gucken konnte. Es war ein eigenartiges Gefühl und vorsichtig haben wir diese Flächen zunächst mit der Peekstange getestet und danach befahren. Nachdem wir dann kreuz und quer auf dem See gefahren waren, kehrten wir mit Rückenwind nach Neukalen zurück.
 
   Im drauf folgenden Winter war ich dann wieder in Rostock und wir liefen dort auf dem Schwanenteich Schlittschuh. Meinen Peekschlitten, den ich mit nach Rostock genommen hatte, wagte ich nicht einzusetzen, da keiner mit so einem Schlitten fuhr. Leider! Seit der Zeit hat der Peekschlitten ein Kellerdasein geführt und alle Umzüge mitgemacht.
 
   Im Jahre 2022 besuchte ich Neukalen und auch das ehemalige Haus meiner Oma. Die jetzige Besitzerin 3) erlaubte mir u.a. auch die Besichtigung des hinter dem Haus gelegen Gartens. Über den Gartenzaun kam ich mit dem Nachbarn 4) ins Gespräch und wir kamen auch auf den Peekschlitten zu sprechen. Daraufhin verschwand er für eine kleine Weile und kehrte dann mit einem Peekschlitten in der Hand zurück. Ein Ebenbild von meinem, nur nicht so gealtert.
 
   Liebe Leser, Oma oder Opa, Mutter oder Vater empfehlt euren Kindern oder Enkeln den Peekschlitten, damit die alte norddeutsche Tradition nicht ausstirbt, und es macht wirklich einen höllischen Spaß, mit dem Schlitten über das Eis zu brausen.
 
1) Kleiner Transportschlitten in Norddeutschland, den der Fahrende darauf stehend mit einer eisenbeschlagenen Stange (Peek oder Peik) abstoßend vorwärtsbewegt.
2) Erich Krüger (geb. 25.12.1908, gest. 6.1.2004), Ringstraße 1.
3) Rosemarie Neusser.
4) Lothar Wutschke.
Peekschlitten (1)
Peekschlitten (2)

Der Peekschlitten.