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Peenestadt Neukalen Vernetzt
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Wie es mit meinem grünen Schlauchboot zu Ende ging.

 

Dr. Helge Nagel

 

Seit der abenteuerlichen letzten Schlauchbootfahrt auf der Zschopau waren zwei Jahre ins Land gegangen. Was hatte sich in dieser Zeit nicht alles verändert. Aus unserem offenen Segelboot war ein voll eingedeckter 15er Jollenkreuzer geworden. Wir hatten gleich zweimal den Wohnort gewechselt und hofften nun, in der von einer traumhaften Landschaft umgebenen Kleinstadt Neukalen, endlich Ruhe zu finden.

 

Damals war unser Segler noch im Bootsschuppen an der Müritz stationiert. Wir konnten ihn aber nur im Urlaub nutzen, da sich das Zuwasserlassen für ein Wochenende nicht lohnte. Mein altes grünes Schlauchboot stand uns aber jederzeit zur Verfügung. Was lag also näher, als die Tradition der Schlauchbootfahrten auf dem Fluss einfach von Sachsen nach Mecklenburg / Vorpommern zu exportieren.

 

Im Gegensatz zur Zschopau nimmt sich die Teterower Peene mit ihrer geringen Strömung eher wie ein Kanal aus. Doch gerade das em-pfanden wir als Qualitätssprung. Mit ihren Schilfrändern, ihren sanften Windungen inmitten einer ruhigen, romantisch anmutenden Sumpfniederung, erschien sie uns wie ein Naturparadies.

 

Es war am 4. Juli 1990. Wie in früheren Zeiten gehandhabt, sollte auch die erste Schlauchbootfahrt in Mecklenburg eine Tageswanderung werden.

 

Schon der kurze Fußmarsch bis zum Hafen war eine Verbesserung. Meine Frau trug den Rucksack mit der Verpflegung, ich Schlauchboot und Paddel. Alles war so schön einfach. Es gab keine kilometerlange Anfahrt mit dem Auto, keine umständlichen Absprachen, wer uns fährt oder abholt.

 

Bereits nach fünf Minuten hatten wir den Hafen erreicht. In aller Gemütlichkeit füllte ich mit der Fußpumpe die beiden Kammern des Bootes. Dann wurde die Luftmatratze aufgeblasen und als wärmender Boden zwischen die Schläuche geklemmt.

 

Jaja, mein altes grünes Schlauchboot, es war in die Jahre gekommen. Der Gummi war porös, überall zeigten sich winzige Löcher, an denen bei Nässe kleine weiße Schaumpunkte sichtbar wurden. Von Zeit zu Zeit musste man nachblasen, um die Stabilität zu halten. Aber damit hatten wir uns schon seit einigen Jahren abgefunden. Das war kein Grund zur Beunruhigung.

 

Als alles seinen Platz im Boot gefunden hatte, paddelten wir los. Unter der Fußgängerbrücke hindurch, es folgte die Straßenbrücke, eine lange Bootsschuppenreihe und zuletzt die alte Eisenbahnbrücke, über die damals sogar hin und wieder noch ein Zug rollte. Dort ist es auch schon zu Ende, das malerische Städtchen Neukalen.

 

Gemächlich wriggte ich das Schlauchboot die Peene entlang. Nur gelegentlich gab es eine Lücke im Schilfgürtel. Auf uns wirkte der kanalartige Fluss wie ein langgestreckter, vom Schilf eingeschlossener Dorfteich. Wir waren begeistert von so viel Ruhe und Abgeschiedenheit.

 

Nach circa drei Kilometern beschreibt die Peene, flussaufwärts gesehen, eine Linkskurve. Hier stehen in Ufernähe die ersten urigen Eichen und die Landschaft wurde noch schöner. Nur mit der Ruhe war es vorbei. In der Luft lag ein dumpfes Dröhnen, das schnell anschwoll. Aus den kleinen schwarzen Pünktchen am Himmel wurden dicke Transporthubschrauber. Über dem Übungsgebiet, in der Nähe des Lelkendorfer Waldes, kurvten sie ein und zogen in 100 bis 200 Metern Höhe brummend ihre Kreise.

 

Nach einem Kilometer biegt der Fluss wieder nach rechts ab und verläuft bis zur Karnitzer Brücke relativ gerade. Wir befanden uns bereits auf dieser geraden Strecke, als sich plötzlich ein Hubschrauber aus der Gruppe löste, immer tiefer kam und über der Sumpfwiese vor Karnitz zur Landung ansetzte.

 

Er landete aber nicht. In zwei Metern Höhe blieb er so lange über der Wiese, bis er sich stabil in der Standschwebe befand, dann drückte der Pilot die Steuersäule einen Hauch nach vorn. Der Hubschrauber bewegte sich wie in Zeitlupe auf unser Boot zu.

 

Als er sich 20 Meter vor uns befand, hob ich den Arm. In Fliegerkreisen ist es üblich mit dem linken Arm zu grüßen, was ich bei Tieffliegern wie Landwirtschaftsmaschinen oder Hubschraubern schon hin und wieder erlebt habe. Diesmal grüßte der Pilot nicht. So dicht über dem Boden konnte er sich keinen Steuerfehler leisten. Mit konzentriertem Blick, die linke Hand an der kollektiven, die rechte an der zyklischen Blattverstellung und den Füßen in den Pedalen, dröhnte er in Schrittgeschwindigkeit heran. Sekundenlang schwebte der schwere Stahlkoloss genau über uns. Die riesigen Räder des Fahrwerkes erschienen zum Greifen nah.

 

Der Wasserspiegel der Peene lag zwar noch einen Meter unterhalb der Wiese, dennoch stellte sich ein beklemmendes Gefühl ein – wenn er jetzt durchsacken würde.

 

Aber der Pilot verstand sein Fach. Gekonnt zog er 10 Meter nach dem gegenüberliegenden Ufer den großen Transporthubschrauber hoch und reihte sich wieder in die Übungsflüge der anderen ein.

 

Das war ein schöner Spaß. Wahrscheinlich wusste er, dass ich eine besondere Affinität zum interessantesten aller Luftfahrtgeräte habe. Kein Zweifel, der Pilot kannte uns, was nicht verwunderlich war. Schließlich hatten wir knapp zwei Jahre in Stavenhagen gewohnt und gearbeitet.

 

Beeindruckt von diesem Erlebnis setzten wir die Schlauchbootwanderung fort. Ein ganzes Stück vor der Karnitzer Brücke endete abrupt unsere Tagesfahrt. Eine dicke Eiche lag quer im Fluss. Das war aber nicht so schlimm. Wir nutzten sie gleich als Anleger. An dem, auf der Oberseite abgetrockneten Baum, konnte man gut aussteigen. Die Äste dienten als Poller.

 

Auf der Wiese breiteten wir eine Decke aus und sonnten uns. Durch das hohe Gras rings um die Decke war ein idyllisches Nest entstanden, das man vom Boden aus nicht einsehen konnte. Schräg über uns dröhnten die Hubschrauber, aber wir fühlten uns nicht beeinträchtigt. Sie waren weit genug entfernt.

 

Nach einiger Zeit wurde den dicken Brummern anscheinend der Sprit knapp. Sie flogen nach Basepohl zurück. Über der Landschaft lag wieder himmlische Ruhe.

 

Die Sonne meinte es gut mit uns an diesem 4. Juli. Wir verbrachten in unserem Grasnest einen wunderschönen Nachmittag. Am Anfang des Sommers gab es allerdings Probleme mit dem Sonnenbrand. Wir konnten das Sonnenbad somit nicht unbegrenzt ausdehnen. Nachdem der Kaffee getrunken war, der Proviant verzehrt und auch eine reichlich gestopfte Pfeife die Gemütliche Situation nicht länger hinausschieben konnte, beschlossen wir heimzufahren.

 

Gut gelaunt packten wir alle Habseligkeiten wieder zusammen. Schwungvoll warf meine Frau den Verpflegungsrucksack ins Boot. „Pfff“, sagte das Boot auf einmal und die vordere Kammer fiel zusehends in sich zusammen. Entsetzt guckten wir uns an. Wieso ging unserem treuen Schlauchboot plötzlich die Luft aus? Die Ursache war schnell gefunden. Ein Dorn der Rucksackschnallen ragte etwas über und war in den ohnehin schon morschen Gummi eingedrungen.

 

Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Schon gar nicht hier, in der Sumpflandschaft, wo es keinerlei spitze Gegenstände gab. Mehr als 30 Jahre war ich bis dahin „unfallfrei“ mit Schlauchbooten auf verschiedenen Gewässern unterwegs gewesen. Nie war dergleichen passiert! Und wenn es dick kommt, dann richtig. Natürlich hatten wir kein Flickzeug mit. Nun galt es Panik unter der „Mannschaft“ zu vermeiden. Ein Landmarsch mit allem Gepäck durch unwegsames Sumpfgelände? Nicht auszudenken! Es musste eine andere Möglichkeit gefunden werden. Aber welche?

 

Die Lösung des Problems war so einfach, dass wir schon als Kinder darauf gekommen wären. Meine Frau übernahm die Aufgabe, mit nassem Finger das Loch dicht zu halten. Ich sollte paddeln, etwas zügiger als sonst, versteht sich.

 

Auf diese Weise schafften wir gerade mal einen bis höchstens zwei Kilometer. Dann war wieder das Aufblasen an der Reihe. An der Eisenbahnbrücke glaubten wir schon, es geschafft zu haben. Der vordere Teil des Bootes war aber so schlaff geworden, dass ich unter der Straßenbrücke nochmals nachblasen musste.

 

In Anlehnung an Goethe erreichten wir den Hafen mit Müh und Not. Das Boot, mit dem wir kamen, war tot.

 

So ging es also mit meinem alten grünen Schlauchboot zu Ende. Einen Reanimationsversuch hat es nicht gegeben. Der Gummi war schon zu altersschwach.

Der Blickaus unserem Wohnzimmerfenster.

Der Blick aus unserem Wohnzimmerfenster.

Unser "Anleger" in der Peene.

Unser "Anleger" in der Peene.