Die jungen Fischotter
Dr. Helge Nagel
Außer einigen Ausrüstungsteilen war mir von meinem Motorboot nur noch das Beiboot geblieben. Selbst der Begriff Beiboot ist noch geprahlt. In Wirklichkeit war es nur ein winziges Kinderschlauchboot, das mit Ach und Krach zwei erwachsene Personen tragen konnte.
Was macht man aus so einer Situation? Ein richtiger Naturfreund gibt nicht auf. Die Größe eines Bootes ist, vertretbares Wetter vorausgesetzt, nicht unbedingt von Bedeutung, und die Natur ist bei uns bekanntlich in Ordnung.
Eines schönen Tages, zu diesem Winzling von Boot habe ich keine Logbuch – Aufzeichnungen, konnte ich es zu Hause nicht länger aushalten. Es kann im Frühsommer des Jahres 1996 gewesen sein als ich am Morgen schwer bepackt mit Schlauchboot, Paddel und Proviantbeutel dem Hafen zustrebte. Zum Glück sind von unserer Haustür bis zum Hafen nur fünf Minuten zu gehen.
Geruhsam, es war einer von jenen Frühsommertagen an denen es weder zu kalt noch zu warm ist, baute ich ganz am Ende unseres kleinen Stadthafens mein Schlauchboot auf. Das war recht unkompliziert, solche Raffinessen wie Rudervorrichtungen, Sperrholzboden oder Ruderbank gab es nicht. Zur Stabilisierung des Bodens, aber vor allem zur Isolation gegen das kalte Wasser, diente eine alte Luftmatratze. Fertig war mein „Expeditionsschiffchen“.
Das Boot war so leicht, dass ich es mit einer Hand aufs Wasser setzen konnte. In den vorderen Teil platzierte ich die Verpflegung sowie den leeren Verpackungsbeutel. Im hinteren Teil nahm ich Platz, quer zum Boot, die Beine hingen über Bord. An den Füßen hatte ich Gummistiefel. Ein Holzpaddel aus alten Zeiten diente als Steuer.
Es wehte ein leichter Wind längs zum Hafen und ich setzte „Segel“. In der rechten Hand hielt ich einen aufgespannten, ebenfalls schon recht betagten Regenschirm. Man muß sich eben in jeder Lebenslage zu helfen wissen. Das Paddel zum Steuern war in der linken Hand. Das kleine Boot nahm sofort Fahrt auf. Mein Wasserfahrzeug löste allgemeine Heiterkeit aus. Von irgendwoher hörte ich noch rufen: „Der macht ja richtig Fahrt!“, dann lag der Hafen schon hinter mir.
Auch auf dem Kanal hatte ich den Wind so ziemlich von hinten und mein Regenschirm bewährte sich prächtig. Die zwei Kilometer bis zum See konnte ich somit ohne einen einzigen Paddelschlag genießen. Vollkommen geräuschlos fuhr ich dahin. Langsam zogen die Ufer vorbei, die Sumpfdotterblumen blühten, dass es nur so eine Pracht war, und die Sonne glitzerte in den kleinen Wellen, die der Wind den Kanal entlang schob. Bereits nach einem Kilometer waren die Häuser der Stadt im Grün untergetaucht. Die Natur hatte von mir Besitz ergriffen und ich bereute es nicht, am Morgen zu dieser Fahrt aufgebrochen zu sein.
Wie gesagt, ich fuhr total geräuschlos dahin, mal mit einer größeren Bugwelle, mal etwas langsamer, je nach Windstärke. So ein leise auf dem Wasser treibendes Gebilde war natürlich interessant für die drei jungen Fischotter, die mich plötzlich vom rechten Kanalufer aus anguckten. Allein schon die kleinen Fischotter zu entdecken ist etwas Besonderes, aber was sich dann abspielte, werde ich wohl für den Rest meines Lebens nicht vergessen.
Fischotter sind neugierig, junge zumal. Ehe ich richtig begreifen konnte was geschah, setzte sich die kleine Schar in Bewegung. Flink wuselten die drei an Land hinter dem Boot her. Jedes Mal wenn sie mich eingeholt hatten, blieben sie kurz stehen und betrachteten mich interessiert. Es war erstaunlich wie sie an den verschiedensten Uferabschnitten immer wieder einen Weg fanden. Ab und an waren sie ganz verschwunden, dann tauchten sie wieder auf. Wenn der Wind zu stark wurde, konnten sie mir nicht mehr folgen.
Weil die kleinen Fischotter den Mut nicht verlieren sollten, drehte ich den Regenschirm aus dem Wind und wartete, nur langsam treibend, bis sie mich wieder eingeholt hatten. Ein paar Mal dachte ich sie hätten aufgegeben, aber da sah ich sie bereits wieder eifrig am Wasser entlangtrippeln. Sie rannten lediglich einen kleinen Umweg, wenn es für sie unmittelbar am Ufer kein Durchkommen gab.
Nach circa 300 Metern gaben sie aber wirklich auf. Es kann sein, dass es zu anstrengend für die Kleinen wurde. Es kann aber auch sein, dass sie die Reviergrenze nicht überschreiten wollten. Wie dem auch sei, jedenfalls fand ich sowohl ihre Geschwindigkeit als auch die zurückgelegte Strecke beachtlich.
Nun drehte ich den Regenschirm wieder so günstig wie möglich in den Wind. Schon nach wenigen Minuten lag der See in seiner ganzen Schönheit vor mir. Eine kleine Bucht im Schilf war schnell gefunden. Das sich anschließende Frühstück mit Blick auf den Kummerower See und die unvermeidliche Pfeife danach rundeten den schönen Vormittag ab. Auch der weitere Verlauf des Tages gestaltete sich recht zufriedenstellend. Selbst die Tatsache, dass ich heimwärts zwei Kilometer gegen den Wind paddeln mußte, konnte die Stimmung nicht trüben.
In jenem Sommer verbrachte ich mit diesem kleinen Schlauchboot noch einige schöne Stunden in der Natur.
Der Weg zum See im Frühling.
Am Ufer blühen die Sumpfdotterblumen.