Der Schulrektor sprang aus dem Fenster
Wolfgang Schimmel
So lustig, wie sich die Überschrift liest, war es nicht. Der folgende Beitrag über den Rektor Dahnke spiegelt ein tragisches Menschenschicksal wider.
Als Otto Oldach, Rektor der Neukalener Stadtschule, am 1. Dezember 1899 nach Dargun verzog, bemühte sich der Magistrat um einen Nachfolger. Die Wahl fiel auf Ernst Dahnke in Zurow bei Neukloster. Er wurde am 8. Januar 1900 als Rektor in Neukalen eingeführt.
Ernst Dahnke, geboren am 7. April 1865 in Damerow bei Waren, war unverheiratet. Pastor P. Jenssen in Strackholt stellte ihm am 11. Dezember 1899 folgendes Zeugnis aus:
“Hiermit bezeuge ich, daß Herr Candidat E. Dahnke vom 15. Oktober 1891 bis zum 16. Dezember 1892 in der hiesigen Missionsvorschule als Inspektor fungiert hat. Der Herr Candidat hat während der besagten Zeit die Zöglinge der Missionsvorschule mit treuem Fleiße und gutem Geschick unterrichtet, sowie auch durch Aufsicht und gutes Vorbild erziehlich auf dieselben eingewirkt. Ferner kann ich bezeugen, daß der Herr Candidat an den Gottesdiensten der Gemeinde, insonderheit auch an der Feier des heiligen Abendmahls teilgenommen hat. Endlich bemerke ich noch, daß der Herr Candidat stets einen stillen, christlich sittlichen Wandel geführt hat. Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Herr Candidat Dahnke einen Beruf finden möge, in welchem er auf gleiche Weise, wie in seiner hiesigen Wirksamkeit, seine Treue beweisen könne.“
Zwei Jahre wirkte Dahnke an der Neukalener Stadtschule als Rektor. Zusammen mit neun weiteren Lehrern, die oft kein gutes Verhältnis untereinander hatten, galt es fast 500 Kinder zu unterrichten. Da war die Leitung der Schule nicht so einfach und die Verantwortung für den Rektor groß. Rektor Dahnke fühlte sich bald überfordert. Wahrscheinlich war er den anstehenden Aufgaben auch charakterlich nicht gewachsen. Pastor Voss meinte später, daß der Rektor schon längere Zeit an Verfolgungswahn litt. Jedenfalls verschlechterte sich sein Gesundheits- und Geisteszustand rapide und es kam zu Ereignissen, die den Bürgermeister Paul Lindemann veranlaßten, am 15. Februar 1902 an das Großherzogliche Ministerium, Abteilung für Unterrichts-Angelegenheiten, in Schwerin zu schreiben:
„In Ehrerbietung gestatte ich mir das Nachstehende gehorsamst vorzutragen.
Ich erfuhr heute Vormittag, daß der Rector Dahnke hieselbst in der Schule vor Schwäche ohnmächtig geworden sei, und auf weitere Erkundigung bei den Wirtsleuten des p Dahnke, bei denen er volle Pension hat, daß er seit 8 Tagen keinerlei Nahrung zu sich genommen und daß er seit heute Vormittag 10 Uhr vom Hause fortgegangen sei. Da auch sonst schon in den letzten Tagen allerlei Gerüchte über ein auffallendes Benehmen des Rectors in Umlauf waren, schöpfte ich, als Dahnke gegen 3 Uhr in seine Wohnung noch nicht zurückgekehrt war Verdacht, daß ihm vielleicht ein Unglück zugestoßen sei. Gleichzeitig ging hier von Lelkendorf die telephonische Meldung ein, daß der Rector Dahnke von Carnitzer Gutsleuten in den Carnitz´er Wiesen betroffen, festgehalten und nach Lelkendorf gebracht sei, wo er einstweilen bewacht werde. Ich fuhr sofort nach Lelkendorf und stellte hier durch Befragung der Carnitz´er Leute folgenden Thatbestand fest. Die Leute seien auf einen in den Wiesen umherirrenden Menschen aufmerksam geworden, der beim Näherkommen von ihnen als Rector Dahnke erkannt sei. Dahnke habe sehr verstört ausgesehen, habe aus einer Wunde am linken Handgelenk in der Nähe der Pulsader stark geblutet und habe ihnen unter anderen irren Reden erzählt, er sei von Glasow und Zarpentin - so heißen die städtischen Diener - mit einem Messer gestochen; diese lauerten ihm hinter einer in der Nähe befindlichen Brücke auf. Die Arbeiter hätten ihm darauf mit einem Taschentuch die Wunde verbunden und sei es ihnen unter vielen Zureden gelungen, Dahnke nach Lelkendorf zu bringen, wo er sich jetzt im Kruge aufhalte.
Ich begab mich hierauf in den Krug, wo ich den Rector ruhig am Tische sitzend in einem Zustande höchster körperlicher Erschöpfung antraf. Ich versuchte ihn durch gütliches Zureden zu veranlassen mit mir nach Neukalen zurückzukehren, was er mir jedoch energisch verweigerte, mit dem Bemerken, er wolle nach Altkalen zu dem Erbpächter Holtz, einem Vetter von ihm. Dahnke war seelisch aufs Aeußerste erregt, was sich aus sehr verletzenden Aeußerungen über mich, Pastor Voss hieselbst, das Lehrer - Collegium und verschiedene geistliche Behörden ergab. Ich versuchte immer aufs Neue ihn zu beruhigen und sagte ihm, er sei augenscheinlich nervös aufs Aeußerste angegriffen und mir erscheine es zweckmäßig, daß er einen längeren Urlaub zur Wiederherstellung seiner erschütterten Gesundheit nehme. Hierauf ging er mit den Worten ein: Ja, das ist richtig, ich hätte schon längst ausspannen sollen. Da er mir nun erklärte, nach Neukalen wolle er nicht zurück, er wisse auch nicht, zu wem anders als zu seinem Vetter Holtz er gehen könne, fuhr ich sofort mit ihm nach Altkalen und brachte ihn zu dem Erbpächter Holtz, dem ich über das Vorgefallene die notwendigen Aufklärungen gab.
Da der Gesundheitszustand des Rectors Dahnke augenscheinlich ein so schlechter war, daß er in längerer Zeit seine Lehrthätigkeit nicht aufnehmen kann, habe ich ihn mündlich beurlaubt und ihm zugesagt die erforderlichen formellen Schritte für ihn zu thun. Für die einstweilige Fortführung des Unterrichts in der Schule sind sofort die erforderlichen Schritte gethan.
Der Rector Dahnke hat schon länger denn Jahresfrist ein auffallendes Benehmen zur Schau getragen. Nicht nur, daß er allgemein für menschenscheu und als Sonderling galt, sondern auch durch mancherlei Einzelheiten, wie grundlose Züchtigungen von Kindern außerhalb der Schulzeit, wiederholte Verzögerungen in Erledigung amtlicher Sachen, Mißhelligkeiten mit den städtischen Dienern erregten unliebsames Aufsehen.
Als dann im Schulvorstand auf seinen Antrag die Anschaffung neuer Lehrmittel beschlossen war und er um die Durchführung dieses Beschlusses ersucht war, weigerte er sich dieser Ausführung.
Wegen der Einzelheiten darf ich auf den Bericht des Schulvorstandes vom 5. November v. Js. Bezug nehmen und unter den jetzigen Verhältnissen nur noch hinzufügen, daß der Schulvorstand seiner Zeit im eigenen Interesse Dahnke´s beschloß, von dem jeder Beschreibung spottenden Betragen des Rectors in jener Sitzung nicht zu berichten. Auf die Beschwerde des Schulvorstandes entschied dieses hohe Ministerium durch Erlaß vom 12. December v. Js., daß der Rector unverzüglich bis zu einem vom Schulvorstand zu bestimmenden Termin die betreffenden Anschaffungen vorzunehmen habe. Mit Scheiben vom 28. December v. Js. forderte der Schulvorstand den Rector auf nunmehr bis zum 1. Februar 1902 die Anschaffungen zu bewirken. Als auch diese Frist fruchtlos verstrichen war, wandte sich der Schulvorstand an den Magistrat mit dem Ersuchen, durch Zwangsmaßregeln den Rector zur Erfüllung seiner Pflicht anzuhalten. Dem Rector wurde nunmehr vom Magistrat aufgegeben unter Androhung einer Ordnungsstrafe der Auflage des Schulvorstandes nachzukommen. Der Rector ließ diese Ordnungsstrafe verfallen, deren zwangsweise Beitreibung in diesen Tagen erfolgen sollte. Nach eigener Angabe des Rectors, die er mir heute gemacht hat, hat er die fraglichen Anschaffungen bisher nicht bewirkt. Er erklärte mir, er habe keine Zeit hierzu, überdies sei es gar nicht seine Sache. Auf meine Frage, warum er denn überhaupt nicht geantwortet habe, und um Uebertragung des Auftrages an einen Anderen gebeten habe, erwiderte er ungefähr, er sei im Recht und werde seinen Willen durchsetzen, er sei so überlastet, daß er diese Arbeit nicht verrichten könne. Zur weiteren Illustration des vom Rector beliebten Verhaltens führe ich an, daß nach Mitteilung des Pastors Voss der Rector sich beharrlich weigert, die ihm obliegenden Pflichtpredigten zu halten und daß Pastor Voss dieserhalb und wegen des auch in der Form ungeziemenden Betragens des Rectors beim hohen Oberkirchenrat Beschwerde erhoben hat, welches Verfahren zur Zeit noch schwebt.
Ich glaube nicht fehl zu gehen in der Annahme, daß der Schulvorstand den Rector Dahnke wegen seines krankhaften Zustandes und seines hierin augenscheinlich begründeten Verhaltens zur Leitung einer größeren Schule nicht für geeignet hält.
Ich habe über die ganze Sachlage mit dem Pastor Voss eingehend Rücksprache genommen und schien es uns als am meisten im Interesse des Rectors liegend, wenn ich, wie ich es thue, die ganzen Verhältnisse zunächst persönlich unterbreite.
Ich bitte ehrerbietigst gehorsamst:
hohes Ministerium wolle geneigtest dem Rector Dahnke einen längeren Urlaub bewilligen und ferner diejenigen Verfügungen erlassen, die bei den vorliegenden Verhältnissen im Interesse der Schule nötig erscheinen.
Gehorsamst P Lindemann
Bürgermeister"
Am 5.3.1902 schrieb der Magistrat über diese Angelegenheit:
"Da der Rector Dahnke von seiner Thätigkeit an der hiesigen Stadtschule durch den Magistratsdirigenten unter Umständen beurlaubt ist, die auf eine heftige Erschütterung des Nervensystems schließen lassen, so scheint uns die Beurlaubung desselben so lange nötig, bis er durch ärztliches Attest seine Fähigkeit, den Unterricht zu übernehmen nachweist.
Der Rector Dahnke ist, soweit hier bekannt, vor einiger Zeit aus Altkalen fortgegangen, angeblich, um sich zu einem Bruder nach Damerow bei Jabel zu begeben. Seine Brüder beabsichtigen nach Mitteilungen an den Magistratdirigenten beziehungsweise den Pastor Voss hieselbst, ihn in einer Nervenheilanstalt unterzubringen. Amtlich ist hier über den Verbleib des Rectors nichts bekannt.
Bei dem Zustande des Rectors Dahnke und bei seinem ganzen den hiesigen Behörden gegenüber in Schulsachen an den Tag gelegten Verhalten glauben wir, daß falls derselbe wieder in seine hiesige Stellung zurückkehrt, in kurzem ähnliche Verhältnisse wiederkehren, die jetzt seine Beurlaubung erforderlich machen. Im Interesse des Rectors, im Interesse unserer Schule und im Interesse der Aufrechterhaltung der Autorität der obrigkeitlichen Gewalten halten wir es für dringend wünschenswert, die hiesige Rectorstelle anderweitig zu besetzen.
Für den Fall einer Vertretung sind wir bereit, den Vertreter des Rectors dasjenige Gehalt zu zahlen, was mit der Rectorstelle als Gehalt der Stadtkasse verbunden ist, in der Voraussetzung aber, daß die Kirche gleiche Verpflichtungen übernimmt. Die dem Rector aus der Stadtkasse gezahlte Mietsentschädigung kann dem Character dieser Zahlung entsprechend, dem Vertreter nicht gewährt werden. Es läßt sich aber wahrscheinlich durch Verhandlungen mit dem Rector ermöglichen, daß sein Vertreter seine Wohnung bezieht, während der Rector Dahnke die Mietentschädigung erhält, und die Miete bezahlt.
Bei dem jetzigen Zustande leidet unser ganzes Schulwesen außerordentlich. Wir gestatten uns daher, der gehorsamsten Bitte Ausdruck zu geben, Großherzogliches Ministerium wolle baldmöglichst durch geeignete Anordnungen Abhülfe schaffen.
Bürgermeister und Rat"
Vom Ministerium für Unterrichts - Angelegenheiten in Schwerin wurde dem Rektor Dahnke wegen eingetretener geistiger Störung ein längerer Urlaub genehmigt.
Am 5. April 1902 berichtete der Neukalener Magistrat:
"Am 3. April d. Js. abends ist der Rector Dahnke hier eingetroffen, und hat seine alte Wohnung wieder bezogen. Wie der Hauswirt berichtet, hat Dahnke gestern Nachmittag wieder ein auffallend scheues Wesen zur Schau getragen. Gestern abend ist Dahnke nun wiederholt nur mit Hose und Weste bekleidet, ohne Hemd und Überrock mehrmals die Treppe rauf und runter gelaufen. In diesem Anzug ist er dann aus der Hausthür über die Straße nach dem schräge gegenüber liegenden Hause des Bürgermeisters Lindemann gelaufen, hat hier an die Thür gefaßt, dann an mehrere andere Hausthüren und ist endlich in seine Wohnung zurückgekehrt.
Inzwischen hat der Logieswirt Verdacht geschöpft und hat den Sanitätsrath Dr. Buschmann rufen lassen. Sobald Dahnke dies erfahren, ist er aus dem Hause geeilt und nach dem Hotel gegangen. Hier ist er ohne sich zu melden die Treppe hinaufgeschlichen. Als Dahnke hier alles verschlossen gefunden, hat er sich bei der Wirthin gemeldet, und ist ihm darauf ein Fremdenzimmer in der ersten Etage angewiesen. Inzwischen ist vom Magistrat vor dem Hotel ein Wächter postiert worden um Obacht auf den Rector zu geben. Gegen 12 Uhr hat Dahnke sich dann aus dem Fenster gestürzt und ist auf das Straßenpflaster gefallen.
Hier hat der Rector eine kurze Zeit wie tot gelegen, ist dann aufgestanden und weggelaufen. In der Nähe des Schulhauses ist Dahnke dann hingestürzt, und von den Wächtern nach dem Schulhause gebracht.
Auf dem Transport vom Schulhause nach dem Krankenhause hat der Rector dann allerlei irre Reden geführt. Dahnke ist sofort vom Sanitätsrath Dr. Buschmann untersucht, und hat dieser constatiert, daß Dahnke geisteskrank sei."
Obermedizinalrat Professor Dr. Schuchardt in Gehlsheim schrieb am 9. April 1902:
"Herr Rector Dahnke aus Neukalen wurde am 6. April 1902 wegen Geistesstörungen in die Irrenanstalt Gehlsheim aufgenommen. Nach den Erscheinungen des jetzigen krankhaften Zustandes sowie nach den Ergebnissen der Untersuchung des Kranken ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Herr Rector Dahnke schon längere Zeit krank ist und daß seit wenigstens 6 Monaten ein Zustand nervöser Erschöpfung bei ihm vorhanden war.
Gehlsheim, den 9. April 1902
Professor Dr. Schuchardt"
Der cand. theol. Ludwig Köhler in Schwarz wurde am 11. April 1902 vom Großherzogliche Ministerium Abteilung für Unterrichts-Angelegenheiten aufgefordert bis auf Weiteres die Rektoratsgeschäfte in Neukalen für ein jährliches Gehalt von 1000 Mark zu übernehmen.
Der Obermedizinalrat Professor Dr. Schuchardt in Gehlsheim schrieb am 16. April 1902:
"Dem Grossherzoglichen Ministerium, Abteilung für Unterrichts - Angelegenheiten, berichtet der gehorsamst Unterzeichnete in Ehrerbietung, dass der Rektor Dahnke aus Neukalen an einer akuten Geistesstörung mit den Erscheinungen heftiger Angst und Erregung erkrankte. In einem solchen ängstlichen Erregungszustand ist Herr Dahnke in Neukalen aus dem ersten Stock eines Hauses auf das Strassenpflaster gesprungen und hat sich verschiedene Verletzungen, wie z. B. Rippenbrüche, Kontusionen der Füsse und Hände etc. zugezogen. Zur Zeit ist in psychischer Beziehung ziemlich gleichmässige Ruhe eingetreten, aber in Folge der gebliebenen Verletzungen hat sich eine septische Erkrankung entwickelt, welche zur Zeit noch eine Lebensgefahr für den Kranken fürchten lässt. Sollte diese Erkrankung günstig verlaufen, so ist Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die psychische Störung in Genesung übergeht.
Schuchardt"
Am 26. April 1902 wurde Rektor Dahnke in die Chirurgische Abteilung des Universitäts - Krankenhauses verlegt. Seine geistige Störung war in fortschreitender Besserung.
Der Neukalener Magistrat berichtete am 22. August 1902 an das Großherzogliche Ministerium Abteilung für Unterrichts-Angelegenheiten in Schwerin:
„Der Rector Dahnke hieselbst ist seit längerer Zeit aus der Anstalt Gehlsheim entlassen und hält sich nunmehr zur weiteren Wiederherstellung seiner Gesundheit bei seinem Bruder, dem Pastor Dahnke in Retschow bei Kröpelin auf.
Indem wir ein Schreiben der Großherzoglichen Direction der Irrenanstalt Gehlsheim vom 18. August d. Js. in beglaubigter Abschrift anschließen, gestatten wir uns das Nachstehende vorzutragen.
Nach dem Erachten der Anstalts - Directionist das Eintreten des Rectors Dahnke in die alten Verhältnisse als eine Gefahr für die geistige Gesundheit des Rectors Dahnke und deshalb seine Übersiedelung in eine andere Stellung an einem anderen Ort als sehr wünschenswert bezeichnet. Andererseits können wir uns der Ansicht nicht verschließen, daß bei einem Wiedereintritt des Rectors Dahnke in sein hiesiges Amt die gedeihliche Fortführung seines Amtes ihm sehr erschwert sein wird. Wenn auch vielleicht das Lehrercollegium dem Rector nach wie vor die schuldige Achtung bezeigen wird, so steht doch zu befürchten, daß die Schüler den nötigen Respect gegen ihren Lehrer und Rector nicht behalten. Es wird zu erwarten sein, daß bei allen Anordnungen, die der Rector trifft, mögen sie zutreffend sein oder nicht, sobald sie nur den Eltern der Schüler als nicht angebracht erscheinen, die so traurige Erkrankung des Rectors als Grund für solche Maßnahmen angezogen wird.
Wir glauben daher, daß sowohl die Rücksicht auf die Gesundheit des Rectors Dahnke wie auch auf die gute Fortentwicklung unserer Schule und auf die Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung in derselben eine Rückkehr des Rectors Dahnke in sein hiesiges Amt, wenn irgend möglich zu vermeiden ist.
Wir gestatten uns deshalb die gehorsamste Bitte,
Großherzogliches Ministerium wolle erwägen, ob nicht die Versetzung des Rectors Dahncke nach seiner Genesung in ein anderes Amt an einem anderen Ort zu erwirken ist.“
Der Obermedizinalrat Professor Dr. Schuchardt in Gehlsheim schrieb am 23. November 1902:
"Dem Großherzoglichen Ministerium, Abtheilung für Unterrichtsangelegenheiten berichtet der gehorsamst Unterzeichnete in Ehrerbietung, daß der Rector Dahnke aus Neukalen am 22. November d. Js. erneut untersucht wurde.
Herr Dahnke ist zur Zeit geistig gesund, zeigt aber in körperlicher wie geistiger Beziehung noch einen hohen Grad von Erschöpfung und Leistungsunfähigkeit. Herr Dahnke ist noch nicht im Stande sich nur einigermaßen geistig ernstlich zu beschäftigen und muß auch zur Kräftigung und Erholung noch die meiste Zeit des Tages liegen.
Aller Voraussicht nach wird bis zur vollen Erholung mindestens noch eine Beurlaubung bis zu Ostern 1903 nothwendig sein.
Herr Dahnke ist von dem gehorsamst Unterzeichneten angewiesen, sich in kürzeren Zwischenräumen stets wieder zur Untersuchung einzufinden.
Schuchardt"
Als Rektor Dahnke aus dem Krankenhaus entlassen wurde, nahm er bei seinem Bruder, dem Pastor Dahnke in Retschow, Aufenthalt. Er wirkte immer noch sehr hinfällig und man nahm von seiner Rückkehr in den Schuldienst Abstand. Am 1. April 1903 wurde er mit 25 % seines Gehalts pensioniert. Pastor Clodius in Camin bei Wittenburg berichtete am 15. Januar 1907 über den ehemaligen Rektor Dahnke:
"Unter dem 7. Dezember 1906 ist der ehrerbietigst unterzeichnete vom Vormunschaftsgericht Waren zum Vormund des wegen Geisteskrankheit entmündigten Rektors a. D. E. Dahnke - von 1900 - 1903 Rektor in Neukalen - ernannt worden. Derselbe ist, nachdem er schon im Jahre 1902 eine Zeit lang in der Irrenanstalt Gehlsheim untergebracht war, am 13. September 1906 wieder dorthin überführt und verbleibt dort bis auf weiteres. Das Urteil der Direktion der Anstalt vom 1. Dez. 1906 lautet: "Hoffnung auf wirkliche Genesung ist gering; dagegen ist es nicht ausgeschlossen, daß er später unter geeigneten Verhältnissen auch außerhalb der Anstalt leben kann."
Da mein Pflegebefohlener kein Vermögen besitzt, so bin ich zu seinem Unterhalt auf die ihm vom Großherzoglichen Ministerium aus der städtischen Schulkasse und der Kirchenökonomie in Neukalen erwirkten zusammen 485 M angewiesen. Dieselben werden laut Verfügung des Großherzoglichen Ministeriums vom 24. April 1903, jedoch nur 10 Jahre lang bis zum 31. März 1913, gezahlt.
Ehrerbietigst möchte ich bitten, mir geneigtest mitteilen zu wollen, ob es ausgeschlossen ist, daß die Unterstützung aus Neukalen nach 1913 noch weiter gezahlt werden wird, auch wenn der Rektor a. D. Dahnke nicht wieder genesen wird, oder ob darauf zu rechnen ist, daß ihm in diesem Falle die Unterstützung auch ferner zu Teil wird.
Ehrerbietigst und ergebenst G. Clodius"
Nachdem der ehemalige Rektor Dahnke 1913 noch immer nicht gesund war, lehnte der Neukalener Magistrat und Bürgerausschuß am 3. Oktober 1913 eine Weiterzahlung der Unterstützung aus der Stadtkasse ab. Superintendent Leo schrieb dazu: "... Ich kann in der Zumutung, daß die Kirche fortan diese Pension allein aufbringen solle, nur einen Versuch sehen, städtische Lasten auf die Kirche abzuwälzen." Auch aus kirchlichen Mitteln wurde weder ein Ruhegehaltsbeitrag noch eine Unterstützung gezahlt. Seine Wiederverwendung im öffentlichen Schuldienst wurde vom Ministerium nicht in Erwägung gezogen.
Als letztes Lebenszeichen habe ich im Landesarchiv Schwerin das folgende Schreiben vom November 1925 gefunden. Der ehemalige Rektor Dahnke schrieb an das Ministerium in Schwerin:
"Hochzuverehrender Herr Minister!
Schreiber wendet sich an Sie mit der Bitte um Pension. Er ist als Rektor der Stadtschule zu Neukalen zusammengebrochen. Es wurde eine Pension von 485 Mark gewährt, auf Zeit, indem angenommen wurde, daß die Berufstätigkeit nächstdem wieder würde aufgenommen werde. Das ist unmöglich gewesen infolge widrigster Familienverhältnisse und schwerster Fehler, die gemacht worden sind durch den Hunger, der durch die Mittellosigkeit hervorgerufen wird, besteht seit sehr langer Zeit schwerste körperliche Not, zu der Abstellung um einstweilige Weiterbewilligung der Pension möglichst mit rückwirkender Kraft herzlichst gebeten wird. Gütigst wolle man entschuldigen, daß wenige Worte gemacht werden, die Not macht unmöglich, viele Worte zu machen. Mit der innigsten Bitte, keine Fehlbitte zu tun, Ew. Hochwohlgeboren gehorsamst ergebener E. Dahnke
Damerow bei Jabel,
Mecklenburg Schwerin."