Die Kirchturmuhr
Dr. Claus Peter / Egbert Neumann
Als älteste Zeitmesser sind in unserer Stadt die Reste von vier Sonnenuhren an der Kirche vorhanden. Sie stammen aus der Zeit vor 1500 und sind sehr einfach angefertigt. Als Schattenstab diente ein waagerechter Stab, der in einer Mauerfuge oder in einem Loch im Mauerstein befestigt war. Sein Schatten ergab infolge der wechselnden Sonnenhöhen im Jahr allerdings keine regelmäßige Stundenanzeige, sondern nur eine allgemeine Tageseinteilung. Lediglich der mittlere senkrechte Strich zeigte die Mittagszeit 12 Uhr genau an. Fiel der Schatten auf eine der anderen eingeritzten Linien auf dem Mauerstein, so diente dieses nur als Anhaltspunkt, zum Beispiel für das Glockenläuten oder den Beginn des Gottesdienstes.
Die vier Sonnenuhren an unserer Kirche befinden sich natürlich alle an der Südwand. Sie sind nur schwer zu finden, da der frühere Schattenstab fehlt, die Löcher ausgefüllt sind und die Einritzungen in den Backsteinen kaum auffallen.
Wann genau die erste mechanische Kirchturmuhr eingebaut worden ist, kann man nicht mehr feststellen. Nur soviel ist sicher: 1647 war bereits eine Kirchturmuhr in Neukalen vorhanden und schon mehrere Jahre in Betrieb. Man muss analog zu vergleichbaren Fällen davon ausgehen, dass bereits im Mittelalter so gut wie jede Stadt über eine Uhr verfügte und eine solche auch in Neukalen spätestens mit Errichtung des bestehenden Turms aufgestellt wurde. Im Visitationsprotokoll von 1647 heißt es, dass der Küster Henning Valegoes jährlich 1 Gulden „zum par Schuch nach dem Seiger zusteigen“ erhielt. Er bekam also Geld für ein Paar Schuhe, da er zur Uhr im Kirchturm steigen, das Uhrwerk aufziehen und den Zeiger einstellen musste. Bis zur Einführung des Pendels diente als Gangregler für Räderuhren die sog. Waag, die über die damals übliche Spindelhemmung in Gang gehalten wurde. Da die Schwingungen der Waag nicht isochron sind, sondern unmittelbar von der einwirkenden Kraft des Räderwerks abhängig sind, war der Ganggenauigkeit solcher Uhren Grenzen gesetzt. Doch war sie keineswegs so unzureichend, wie immer wieder zu lesen ist, vor allem dann, wenn die Uhr nicht Zusatzeinrichtungen mit wechselndem Kraftbedarf antreiben musste. Gleichwohl aber mussten die Uhren von Zeit zu Zeit mit Hilfe einer Sonnenuhr zur Mittagszeit nachgestellt werden. Doch schon im 18. Jahrhundert konnte durch technische Innovationen die Genauigkeit der Räderuhren durchgreifend verbessert werden.
Weitere Informationen zur Neukalener Uhr übermittelte 1647 Pastor Arnoldi, der von 1639 bis 1657 in Neukalen tätig war: "Ferner ists dieser gantzen Gemein wol bewust vnd bekandt, daß ich in meiner Ankunfft allhie den Kirchen – Seiger, da er zerbrochen vnd gantz vntüchtig war, durch eine Anordnung bei einem Schmiede, vmb ordentlicher Verrichtung willen des Gottesdiensts, wider in den Schick vnd Gang gebracht vnd nun ins achte Jar mit dem Küster, so viel hie nötig, darauff gesehen, daß er im Gange bliebe Dafür für meine Zeit ein Burger allhie der der Kunst gemeß, nicht nach Verdienst, sondern auß freien Willen nur 2 Gulden järlich auß der Kirchen begeret, auch empfangen vnd berechnet worden. Weil aber derselbe im Kriegswesen verstorben vnd hie niemand verhanden der Wissenschafft darumb hette, vnd ich etwas bescheides auß Erfarung wuste, So habe ich michs vnternommen obgedachter Vrsach halber vnd in Hoffnung, eß würde mir in diesem meinem kümmerlichen Zustand ein Nothpfenning ohn bedencken, für solche Auffsicht vnd Mühe gereichet werden konnen vnd den auch in Betrachtung wen man von ferner her hette einen Vhrmacher fordern vnd holen müssen das vierdoppelte Vnkosten der Kirchen ausser allem Zweiffel drauff ergangen weren.
Welche Gedancken vnd Hoffnung in weitem gefeilet, etc. Stelle auch dieses zu der Fürstl. wolverordneten Herrn Commissarien großgönstige Erkentnis."
Die Kommission, welche 1647 das Kirchenwesen kontrollieren sollte, vermerkte dazu:
"Was von alters her für die Wartung des Kirchenseigers gegeben ist, das gehöret auch dem billig, der ihn bisher vnd anitzo wartet, damit der Gottesdienst zu rechter Zeit verrichtet werden vnd nicht allein die einwohner, sondern auch durchreisende Leute nachricht haben wie es an der Zeit sei."
Das Uhrwerk, von dem hier die Rede ist, existiert längst nicht mehr; sicher ist nur, daß es noch in der Art mittelalterlicher Räderuhren mit Spindelhemmung und Waag ausgestattet war, denn Uhren, deren Gang durch die Schwingungen eines Pendels kontrolliert wurden, gibt es erst, seit der holländische Gelehrte Christian Huygens die erste Uhr dieser Art fertigte und das System 1673 in Paris veröffentlichte.
Nun steht im Turm der Neukalener Kirche noch ein altes schmiedeeisernes Uhrwerk, dessen Alter bisher niemand angeben konnte. Zwar trägt dieses Werk keine Jahreszahl, auch fehlen Schriftquellen zu seiner Anschaffung, doch zeigt der Stil der geschmiedeten Verzierungen am Werkgestell eindeutig, daß die Uhr im 18. Jahrhundert gefertigt worden sein muss. Sie umfasst drei Werke, die in Kopf-an-Kopf-Anordnung in das Werkgestell eingebaut sind, ein Schlagwerk für die Viertelstunden, eins für die vollen Stunden und das Gehwerk, das mittig zwischen beiden angeordnet ist. Mit welcher Technik es ausgestattet war, ist nicht mehr eindeutig festzustellen, da es im 19. Jahrhundert unter Verwendung einiger alter Teile umgebaut wurde. Sicher ist nur, daß ein Pendel den Lauf des Werks regelte. Der Umbau gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist insofern sehr bemerkenswert, als das gleiche System zu Anwendung kam, das der berühmten Big-Ben-Uhr in London ihre sprichwörtliche Genauigkeit verleiht und das darum auch von manchen Turmuhrherstellern auf dem Kontinent kopiert wurde. In Mecklenburg war das der großherzogliche Turmuhrenlieferant Friedrich Dreyer in Schwerin. Er dürfte für den Umbau der Neukalener Uhr verantwortlich zeichnen. Auf diese Maßnahmen dürfte sich die Nachricht beziehen, daß 1870 die Kirchturmuhr defekt war und nach auswärts zur Reparatur gesandt werden mußte. Lange Zeit hatten die Neukalener nun keinen zentralen Zeitmesser.
Bereits 1861 hatte die Postanstalt, damals geführt vom Bäckermeister Wilhelm Kossow im Haus am Markt 12, eine gutgehende Uhr erhalten, und es erging die Anweisung, daß die Kirchturmuhr täglich nach der Uhr der Postanstalt gestellt wird.
Im Sommer 1912 erhielt die Kirchturmuhr zu dem bisherigen Stundenzeiger auch einen Minutenzeiger. Beide wurden schwarz gestrichen, desgleichen die Ziffern. Vorher war der Stundenzeiger und die Ziffern vergoldet. Das bis zu dieser Zeit schwarze Ziffernblatt erhielt einen weißen Farbanstrich.
Das in die Jahre gekommene alte Uhrwerk für die vier Anzeigen am Kirchturm versagte ab etwa 1970 immer häufiger. Eine erfolgreiche Reparatur war nicht mehr zu machen. In der Stadt Ellerich in Thüringen wurde zu dieser Zeit eine Turmuhr ausgebaut und stand zur Verschrottung bereit. Sie war 1907 von der Firma Johann Friedrich Weule in Bockenem hergestellt worden. Propst Dietrich Waack erfuhr davon. Das Uhrwerk war bis zu seinem Ausbau noch in Betrieb gewesen. Vielleicht könnte es in Neukalen weiter seinen Dienst verrichten?
Der Fuhrunternehmen Peter Schmidt holte das Uhrwerk aus Ellerich. Es wurde eingebaut und hat bis vor zwei Jahren - als die Glocken abgenommen werden mußten - die Zeit zuverlässig am Kirchturm angezeigt. Nach seinem Einbau 1981 wurden die Zifferblätter - mangels anderer Farben - blau, Zeiger und Zahlen weiß gestrichen - sehr zum Missfallen vieler Neukalener. Erst bei der Renovierung des Turmdaches und des Turmes im Sommer 1995 erhielten die Zifferblätter wieder ihre vorherige Farbgebung: Untergrund weiß, Ziffern und Zeiger schwarz.
Mit der neuen / alten Uhr hat die Neukalener Gemeinde eine außerordentliche technische Kostbarkeit erworben, denn die Turmuhren der 1836 gegründeten Firma Weule gehören wegen hervorragender Materialqualität und solider technischer Faktur zum Besten, was damals auf diesem Sektor gefertigt wurde. Daneben ist ihre Technik so einfach und übersichtlich gehalten wie nur möglich, so daß diese Uhren sehr bedienfreundlich sind. Dank umsichtiger Pflege präsentiert sich die Uhr, die zum Ablassen der alten und Hochziehen der neuen Glocken vorübergehend ausgebaut werden mußte, in so gut wie neuwertigem Zustand.
Die beiden alten, in östlichen Fensteröffnungen des Turms hängenden Uhrglocken aus Eisenhartguß standen allerdings weiterhin still. Pastor Johannes Höpfner, Uhrmachermeister Ansgar Bartoschek sowie die Neukalener Schmiede Werner und Roberto Guhl arbeiteten daran und hatten Erfolg. Zum Gemeindefest der evangelischen Kirche am 13. Juli 2008 unter dem Thema "Alles hat seine Zeit" konnten sie wieder zum Klingen gebracht werden.
Seit Anfang Juli 2017 stehen die Zeiger still. Sobald aber die Glocken in Betrieb genommen werden und die Kirchturmdecke unter der Uhrenstube geschlossen ist, kann das zerlegte Uhrwerk von der Firma Turmuhren und Läuteanlagenbau Udo Griwahn zusammengebaut werden. Das Schlagwerk wird so gestaltet, daß es nicht mehr an die vorhandenen Eisenglocken im Mauerwerk schlägt, sondern zur Verbesserung der Klangqualität an eine der neuen Bronzeglocken. Es wird auf Grund der neu eingebauten Technik in der Nacht von 22.00 bis 6.00 Uhr nicht erklingen.
Das Uhrwerk im Kirchturm, Aufnahme von 1978.
Das Uhrwerk der Firma Johann Friedrich Weule im Neukalener Kirchturm.
Die Stundenglocke am Kirchturm.
Taubennest unter der Glocke für die
Viertelstunden am Kirchturm.
Das alte Uhrwerk aus dem 18. Jahrhundert ist noch vorhanden.
Details des alten Uhrwerkes aus dem 18. Jahrhundert.
Alte Zeiger der Kirchturmuhr.
Kirchenältester Egbert Neumann kümmert sich um den Betrieb der Kirchturmuhr.