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Lehrer Kossow und der Alkohol

 

Wolfgang Schimmel

 

 

Christian Heinrich Johann Franz Kossow, geboren am 7. Februar 1851 in Poggelow, besuchte von 1872 bis 1874 das Lehrerseminar in Neukloster. Nach Abschluß seiner Ausbildung wurde er am 4. Oktober 1874 als Lehrer in Neukalen eingesetzt und war auch als Organist tätig. Am 29. September 1876 heiratete er Lucie Wilhelmine Sophie Hinkfoth, die bereits am 2. Dezember 1887 starb. Er hatte mit ihr folgende Kinder:

1. Otto Gottlieb August Johannes Kossow, geb. 31.3.1878 in Neukalen, gest. 20.11.1878 an Magenleiden;

2. Annamarie Johanna Wilhelmine Auguste Kossow, geb. 24.5.1879 in Neukalen, gest. 14.6.1879 an Magenleiden;

3. Marie Betty Henriette Johanna Kossow, geb. 6.7.1880 in Neukalen, gest. 19.6.1887 an Diphterie;

4. Sophie Auguste Johanna Emma Kossow, geb. 4.8.1882 in Neukalen, gest. 25.3.1890 an Diphterie;

5. Anna Henriette Louise Kossow, geb. 23.4.1886 in Neukalen, gest. 23.4.1886;

6. ein am 23.4.1886 geborenes und vor der Taufe am 23.4.1886 verstorbenes Mädchen (Zwillinge);

7. Helene Gertrud Minna Marie Kossow, geb. 29.9.1887 in Neukalen;

 

Am 1.2.1888 heiratete Lehrer Kossow als Witwer Ida Wilhelmine Christine Benthin. Mit ihr hatte er folgende Kinder:

1. August Johannes Wilhelm Berthold Kossow, geb. 29.5.1890 in Neukalen;

2. Käthe Alexandrine Ottilie Helmine Kossow, geb. 8.4.1893 in Neukalen.

 

 

Lehrer Kossow war anfangs wohl ein guter Lehrer, verfiel aber bald dem Alkohol, was dann schließlich zu seiner Entlassung aus dem Schuldienst führte. Die folgenden Protokolle im Originalwortlaut zeichnen ein anschauliches Bild darüber.

 

Am 28. Juni 1894 wurde Lehrer Kossow vom Bürgermeister Dr. Stegemann, als Dirigent des Schulvorstandes, zu einem Gespräch eingeladen:

 

"Ladungsgemäß trat vor der Lehrer Kossow hieselbst.

Demselben wurde eröffnet, daß es zur Kenntniß des Dirigenten des Schulvorstandes gekommen sei, daß er sich am gestrigen Tage insofern einer groben dienstlichen Ungebühr schuldig gemacht habe, als er in starkem Grade angetrunken sich öffentlich gezeigt habe und ferner, daß, nachdem sein dienstliches wie außerdienstliches Verhalten schon sehr häufig Veranlassung zu erheblichen Klagen gegeben habe, nunmehr seitens des Dirigenten des Schulvorstandes die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung werde beantragt werden.

Der Lehrer Kossow erklärte sich über die ihm zur Last gelegten Anschuldigung wie folgt:

Ich war am gestrigen Nachmittag nach Lindenau [gemeint ist die Gaststätte in Warsow] gegangen, wo ich 2 Selters mit Cognac und 3 Flaschen Bier trank. Bevor ich nach Lindenau ging hatte ich nichts getrunken. Als ich Lindenau verlassen wollte, begegnete mir der Maurermeister Harm und nahm mich mit seinem Wagen mit zur Stadt. Als wir am Kirchhof ankamen, stiegen der junge Funck, mit dem ich zusammen in Lindenau gewesen und der ebenfalls von Harm mitgenommen war, und ich vom Wagen ab; Funck ging auf dem Wege nach dem s. g. Paradies zu um die Stadt, während ich am Kirchhof längs und dann auf dem Damm, der zum Hafen führt, weiter ging. Kurz vor der Feldbrücke glitt ich aus und fiel in den Graben. Ich stand aber gleich wieder auf und ging dann in das am Hafen gelegene Haus des Zarpentin. Als ich zu Hause kam, war die Uhr zwischen 1/4 und 1/2 9; als ich Harm verließ war es 7 oder 1/2 8 Uhr; als ich nach Lindenau ging, war es gegen 5 Uhr. Ich nehme es ganz entschieden in Abrede, Spirituosen bei mir zu tragen oder gar in der Schule bei mir zu haben."

 

Am 4. Juli 1894 wurden die Zeugen des Vorfalles vernommen:

"1. der Maurermeister Harm, 36 Jahre alt, luth. Confession, Maurermeister hieselbst.

Ich kam mit dem Gastwirth Lagemann zusammen am Nachmittage des 27. Juni d. Js. gegen 5 Uhr nach Lindenau, wo ich den Droguisten Funck und den Lehrer Kossow im Gastzimmer traf. Während Ersterer nüchtern war, bemerkte ich, daß Kossow in starkem Grade angetrunken war. Als ich bald darauf mit Lagemann auf meinem Wagen fortfahren wollte, baten mich Funck und Kossow sie mit zur Stadt zu nehmen; Ersterem gewährte ich seine Bitte, während ich dieselbe Kossow abschlug, da er zu stark betrunken war. Trotz meines Verbots war Kossow aber dennoch auf den Wagen gestiegen; hinunterwerfen wollte ich ihn nicht und so erlaubte ich ihm denn, auf dem Wagen zu bleiben, jedoch nur unter der Bedingung, daß er vor der Stadt absteige, da es mich genirte, ihn in so betrunkenem Zustande auf meinem Wagen zu haben. Am Kirchhof angelangt, hielt ich; Funck stieg ganz ordentlich ab, während Kossow in Folge seiner Angetrunkenheit stolperte und fiel. Ich nahm deshalb noch Veranlassung, Funck zu bitten, er möge dafür sorgen, daß Kossow ordentlich nach Hause käme, und meinte Funck auch, er hoffe mit Kossow fertig zu werden.

Ich bin dann sofort weiter gefahren und habe nicht gesehen, was Kossow weiter gemacht hat. Die Uhr war gegen 1/2 6 als Kossow vom Wagen stieg.

Am gedachten Tage war es meiner Erinnerung nach ganz trocken.

 

2. Herr Kaufmann Raimund Krüger, 53 Jahre alt, luth. Confession, Kaufmann hieselbst.

Am Nachmittage des 27. Juni d. Js. (ich erinnere nicht genau zu welcher Stunde) war ich mit dem Senator Kossow zusammen in der Nähe der Feldbrücke als ich Kossow und den jungen Funck aus der Stadt herkommen sah. Kossow ging in das an der Feldbrücke gelegene Zarpentin´sche Haus, während Funck weiter ging, ihn aber nach ganz kurzer Zeit aus dem Zarpentin´schen Hause wieder herausholte. Beide kamen dann auf uns zu, wobei ich gleich bemerkte, daß er in angetrunkenem Zustande war. Mein Gespräch mit ihm bestätigte diese Wahrnehmung.

Kossow erklärte mir, er wolle 5000 Torf, die er von mir gekauft hatte, bezahlen, anstatt aber mir 16,25 M., die der Torf kosten sollte, zu zahlen, gab er mir 31 M. Ich behielt das Geld vorläufig, da ich befürchtete, daß er es bei seinem Zustande sonst doch verthun würde. Am andern Mittag, nachdem er auf dem Rathhause vernommen war, kam er zu mir und fragte mich, ob er mir gestern Geld gegeben hätte und wieviel. Auf meine Antwort, daß es 31 M. gewesen seien, erwiderte er, das sei wohl gar nicht möglich; bat mich aber schließlich, ihm das ganze Geld wiederzugeben.

Weiter habe ich selbst von Kossow am gedachten Nachmittage nichts gesehen. Ich habe nur das Gerücht gehört, daß er sich später am Tage noch stark angetrunken gezeigt haben soll. Ich habe Kossow verschiedentlich, zum letzten Mal vor ca. 14 Tagen Nachmittags 6 Uhr im Meyer´schen Garten stark angetrunken gesehen, wie Kossow ja überhaupt in dem Ruf steht, zu trinken.

 

3. Kaufmann Wilhelm Schröder, 32 Jahre alt, luth Confession, Kaufmann hieselbst.

Der Lehrer Kossow wohnt mir gegenüber. Derselbe bezieht täglich von mir einen Viertelliter Schnaps und alle 2 - 3 Tage für 50 Pfennig Bier. Den Schnaps läßt er entweder holen oder er holt ihn selbst. Ersteren Falls, wenn seine Frau oder das Mädchen Schnaps holen, geschieht dies in einer Bierflasche, holt er dagegen selbst Schnaps, so thut er dies in einer kleinen Viertelliterflasche, die er in der Tasche trägt. Ich habe verschiedentlich beobachtet, daß, wenn er selbst Schnaps holt, er meist nicht vorne durch die Hausthür, sondern von hinten über meinen Hof kommt.

Ob er am 27. Juni Vormittags oder Nachmittags bei mir gewesen ist, erinnre ich nicht mehr; ich habe nur davon reden hören, daß er am gedachten Tage angetrunken gewesen sein soll und habe am Abend um etwa 8 Uhr ihn über die Straße gehen sehen und wurde mir erzählt, daß bis zur Ecke der Krummen Straße, aus der er herauskam, ihn eine Schar Kinder begleitet haben soll. Auch jetzt noch holt er täglich seinen 1/4 Liter Schnaps.

 

4. Ackerbürger Zarpentin, Fritz, 65 Jahre alt, luth. Confession.

Der Lehrer Kossow kommt häufiger in mein Haus und trinkt Bier, zuweilen auch Schnaps bei mir. Am Nachmittage des 27. Juni kam er gegen 5 Uhr zu mir und forderte eine Flasche Bier, die er aber nicht erhielt, weil ich keins im Hause hatte. Er war damals bereits ziemlich angetrunken. Circa 2 Stunden später kam er wieder zu mir und war vollständig betrunken. Wir hatten ihn bereits kommen sehen und sahen, daß er in der Nähe des Bruger´schen Schuppens taumelte und in den Graben fiel. Da er zu betrunken war um selbst wieder aufkommen zu können, ging mein Schwiegersohn, Tischler Wasserstradt, hinaus, holte ihn aus dem Graben und brachte ihn in mein Haus. Dort reinigten wir seine Kleidung, die ganz voller Schmutz war, nachdem wir ihn zuvor auf das Sopha gelegt hatten, damit er seinen Rausch ausschliefe. Etwa 1 Stunde lang lag er dort und schlief; nachdem er aufgewacht, war er wieder so weit, daß er allein nach Hause gehen konnte.

 

Ladungsgemäß trat sodann vor der Lehrer Kossow von hier und gab an:

Ich muß trotz der Zeugenaussagen bei demjenigen bleiben, was ich zum Protokoll vom 28. vor. Mts. deponirt habe. Ich weiß nicht wie ich dazu gekommen bin, betrunken zu sein; ich kann es mir nur so erklären, daß mein Zustand durch das Rückwärtsfahren derart geworden ist."

 

Die Befragung wurde am 9. Juli 1894 fortgesetzt:

"Ladungsgemäß trat vor

1. der Kaufmann Rudolf Mamerow hieselbst und gab derselbe an:

Ich heiße Rudolf Mamerow, bin 31 Jahre alt, luth. Confession, Kaufmann hieselbst.

Der Lehrer Kossow war am Mittwoch Nachmittag (vor acht Tagen) gegen 4 Uhr in meinem Locale in Begleitung des jungen Funck. Als er kam, hatte ich nicht den Eindruck, als ob er betrunken sei; er trank einige Glas Bier bei mir und ging dann mit Funck fort.

Kossow verkehrt seit längerer Zeit in meinem Locale; er trinkt viel, sodaß ich schon häufig Veranlassung genommen habe, ihn vor dem Trunk, speciell auch dem Schnapstrinken, zu warnen. Bisweilen, namentlich in letzterer Zeit, holt er sich auch eine kleine Viertelliterflasche mit Schnaps.

 

2. der Kaufmann Sonntag hieselbst; derselbe gab an:

Ich heiße Ernst Sonntag, 32 Jahre alt, luth. Confession, Kaufmann hieselbst.

Der Lehrer Kossow kommt ab und zu zu mir und trinkt Bier und Schnaps bei mir. Zeitweise kauft er auch Schnaps von mir, den er aber nie holen läßt, sondern selbst in einer Viertelliterflasche mitnimmt.

In den letzten Wochen ist er häufiger gekommen und hat täglich, mit Ausnahme weniger Tage, 3 - 4 Glas Bier bei mir getrunken. Wenn er noch mehr forderte, habe ich ihm dies verweigert; zuweilen, da er kein Geld hatte, zuweilen, weil ich weiß, daß er dem Trunk ergeben ist und nicht wollte, daß er bei mir betrunken würde.

 

3. der Kaufmann Wagenknecht hieselbst, derselbe gab an:

Ich heiße Hermann Wagenknecht, bin 43 Jahre alt, luth. Confession, Kaufmann hieselbst.

Der Lehrer Kossow bezieht seit Jahren nichst aus meinem Geschäft, sodaß ich nicht sagen kann, ob er Spirituosen in übermäßiger Quantität einkauft."

 

Der Schulvorstand schrieb an das Ministerium in Schwerin:

"Hohes Ministerium!

In der Anlage überreichen wir ehrerbietigst gehorsamst die gegen den Lehrer Kossow hieselbst erwachsenen Akten mit der Bitte

hohes Ministerium wolle die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Lehrer Kossow anordnen.

Der Lehrer Kossow ist seit einer Reihe von Jahren in hohem Grade dem Trunk ergeben. Seitens des Schulvorstandes, sowie einzelner Mitglieder desselben ist wiederholt der Versuch gemacht, ihn von dem betretenen Wege abzubringen. Ermahnungen seitens des Dirigenten des Schulvorstandes, seitens des Pastors und des Rektors unter 4 Augen, Verwarnungen vor versammeltem Schulvorstande, Verweis, Alles ist fruchtlos geblieben.

Der Lehrer Kossow ist augenblicklich in solchem Grade trunkfällig, daß nicht nur sein Zustand die schwerste Schädigung der ihm anvertrauten Classe in Unterricht und Disziplin bedeutet, sondern daß er auch die für seine Stellung erforderliche Achtung des Publikums völlig eingebüßt hat. Veranlassung hierzu sind namentlich Vorgänge, wie die in Anlage B konstatirten, welche sich in den letzten Monaten in ähnlicher Weise verschiedentlich wiederholt haben.

Der Schulvorstand hält es unter diesen Umständen, nachdem sein vermittelndes Einschreiten ohne Erfolg geblieben ist, in Gemäßheit des § 44 der Schulordnung, für seine Pflicht, dem hohen Ministerio Anzeige zu machen und wiederholt seine eingangs ausgesprochene Bitte

hohes Ministerium wolle die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Lehrer Kossow anordnen.

Wir verharren als des hohen Ministerii ehrerbietigst gehorsamster Schulvorstand

Neukalen, den 15. Juli 1894

FStegemann   JVoß

Aug. Lange   Ernst Broder"

 

Der Amtsrichter Crull in Dargun erhielt am 24. August 1894 vom Ministerium den Auftrag, eine Disziplinaruntersuchung gegen den Lehrer Kossow durchzuführen. Er berichtete am 17. September 1894 an das Großherzogliche Ministerium, Abteilung für Unterrichtsangelegenheiten:

"Dem hohen Ministerium überreiche ich hiemit in Ehrerbietung gehorsamst die aus Anlaß der von mir gegen den Lehrer der Stadtschule Christian Kossow zu Neukalen im hohen Auftrage geführten Disciplinar - Untersuchung erwachsenen Acten. Die Acten des Magistrats zu Neukalen betreffend Personalien des Angeschuldigten schließe ich ebenmäßig an, ebenso meine Kostenrechnung unter Beifügung der Liquidation des von mir adhibirten Protocollführers, Amtsgerichtsactuars Dannehl zu Neukalen. Von dem Schulvorstande geführte besondere Acten sind nach mündlicher Mittheilung des Bürgermeisters Dr. Stegemann nicht vorhanden.

Es erschien mir nach Empfang des hohen Auftrages geboten, vor Eintritt in die Untersuchung zunächst mit einem der gelehrten Mitglieder des Schulvorstandes über die verschiedenen für die Untersuchung in Betracht kommenden persönlichen und localen Verhältnisse zu conferiren. Da mir bekannt war, daß der Bürgermeister Dr. Stegemann verreist war, so wandte ich mich in einem Schreiben am 29. August dieses Jahres an den Pastor Voß mit dem Vorschlage, am 31. ejusdem in Neukalen zu einer Conferenz zusammenzustreten. Nach dem Antwortschreiben desselben vom 30./31. August dieses Jahres war jedoch auch dieser verreist und beabsichtigte erst am 6. September dieses Jahres nach Neukalen zurückzukehren. Unter diesen Umständen beschloß ich, um eine unnöthige Hinzögerung des Verfahrens zu vermeiden, mit der Vernehmung von Zeugen zu beginnen, ohne vorher mit jenen Mitgliedern des Schulvorstandes conferirt zu haben.

Es sind von mir zunächst die Lehrer der Stadtschule als Zeugen, außerdem in solcher Eigenschaft am 4. September d. Js. der Senator Kossow, der Töpfer Radtmann, bei welchem der Angeschuldigte zur Miethe wohnt [Malchinerstraße 12], sowie die ebenfalls im Radmannschen Hause wohnende Putzmacherin Johanna Krüger, am 5ten September noch der frühere Polizeidiener, jetzige Rathsdiener Zarpentin, die Töpferfrau Radmann, der Kaufmann Mamerow, der Gastwirth Kähler und der Kaufmann Broder vernommen worden. Nachdem sodann noch am 10. September dieses Jahres der Pastor Voß in seiner Wohnung, ferner der Rector Oldach vernommen worden, erschien mir ausreichendes Material vorhanden, um den Angeschuldigten zu seiner verantwortlichen Vernehmung vorzuladen.

Der Angeschuldigte, am 7. Februar 1851 zu Poggelow geboren, ist am 4. October 1874 als Lehrer an der Stadtschule angestellt worden. Er verheirathete sich 1876 in erster Ehe mit Lucie geborene Hinkfoth. Schon im ersten Jahre seiner Ehe kommen Klagen über seinen Lebenswandel. Er treibt sich in den Wirthshäusern umher, betrinkt sich und giebt auch Veranlassung zu ernstem Tadel wegen seines Verhaltens im Amte. Es kommen dann ebenfalls noch im Jahre 1877 Klagen der Eltern über Mißhandlungen ihrer Kinder durch ihn in der Schule. Sein Betragen im Amte und außerhalb desselben wird ein Derartiges, daß der Schulvorstand sich veranlaßt sieht, ihn zu Protocoll ernstlich zu verwarnen, "sich den Schulkindern gegenüber hinsichtlich der Züchtigung in angemessenen Schranken zu halten, sowie auch hinsichtlich seines öffentlichen Lebens sich der größten Vorsicht zu befleißigen, damit die Achtung und das Vertrauen bei den Eltern der Kinder und dem Publicum wiederhergestellt würde."

Unverständlich bleibt hiernach freilich wie der Schulvorstand dem Angeschuldigten unter dem 8. Januar 1878 das Zeugniß ertheilen kann: "Über sein außeramtliches Verhalten sind keine Klagen geführt."

Im Jahre 1889 - bis dahin ergeben die Personalacten über sein Verhalten gar nichts - kommen wiederum Klagen des Schulvorstandes auf über die Ungenügendheit des von ihm ertheilten Unterrichts, welche zu einer Revision durch den Superintendenten Sostmann führen, deren Resultat in dem dem hohen Ministerium vorliegenden Revisionsberichte desselben vom 15ten November 1889 vorliegt. Das Urtheil des Superintendenten ist ein verhältnismäßig günstiges. Es tadelt seine moralische Haltung, welche derartig ist, daß seine Wirksamkeit in der Schule dadurch zeitweise leidet und sein Ansehen in den Kreisen der Eltern und Kinder geschädigt wird, nimmt aber an, daß er Ehrgefühl habe und selbst wünsche, sich heraus und emporzuarbeiten. Seine im Anfang des Jahres 1890 in Aussicht genommene Absetzung ist nicht zur Ausführung gekommen, Seine bezügliche Eingabe am 30. Januar 1890 an den Geheimen Hofrath Mau befindet sich in Abschrift in dorso. Das in derselben abgelegte Gelöbniß: "Ferner wird es mein erstes und eifrigstes Bestreben sein, nach allen Seiten hin in Schule und Leben meine Pflichten zu erfüllen und würdig meinem Berufe zu leben", hat er jedenfalls nicht lange gehalten. Es findet sich eine Meldung des Rectors Oldach, unter dem 29. Mai 1890 registriert, daß der Angeschuldigte kürzlich angetrunken gewesen sei. Offenbar handelt es sich bereits damals um einen nicht vereinzelt stehenden Fall. Denn der Geheime Hofrath Mau fügt die Bemerkung hinzu: Wohin soll dies führen! Unter dem 24ten Juni des nächsten Jahres 1891 gelangt eine Beschwerde des Rectors Oldach darüber an den Schulvorstand, daß der Angeschuldigte ihm auf eine amtliche Vorhaltung eine respectswidrige Antwort gegeben. Er erhält deshalb in dorso einen Verweis. An diesen anknüpfend wird ihn aber von dem Geheimen Hofrath Mau vorgehalten, "daß er die Wirthshäuser stark besuche und solches bekannt sei, er daher sich ändern müsse, um nicht pensionirt zu werden," und insbesondere, "daß er kürzlich auf der Rückkehr von Schorrentin am Pfingsttage angetrunken gewesen." Die Antwort des Angeschuldigten auf die Androhung der Pensionierung war: "daß der liebe Gott dann auch weiter helfen werde." Ein zu schweren Bedenken Anlaß gebendes Vorkommniß findet sich noch unter dem 2. Juni 1892 registrirt. Der Angeschuldigte macht am Himmelfahrtstage - 26. Mai 1892 - bei dem Gutsbesitzer von Schack auf Rey eine Anleihe von 180 M. und unterstützt seine an denselben gerichtete Bitte mit dem Hinweis auf "Krankheit seiner Frau", obwohl die Letztere damals nach Anzeige des Senators Drechsler täglich spazieren gegangen ist. Es lag indessen ein Anlaß nicht vor, in der Untersuchung auf diesen Fall einzugehen, weil nach mündlicher Mittheilung des Bürgermeisters Dr. Stegemann der Angeschuldigte das lange Krankenlager seiner ersten damals bereits verstorbenen Ehefrau gemeint hat, ein Creditbetrug daher nicht indicirt erscheint. Es geben nun von da an die Personalacten bis zum 28. Juni 1894 über das Leben und Treiben des Angeschuldigten keine Auskunft. Aus dem Berichte des Schulvorstandes an das hohe Ministerium vom 15ten Juli dieses Jahres ergiebt sich jedoch, daß sowohl der Schulvorstand als solcher, als die einzelnen Mitglieder desselben wiederholt haben Veranlassung nehmen müssen, ihn zu ermahnen, von dem betretenen Wege abzusehen und das Trinken zu lassen.

Die Disciplinaruntersuchung hat ergeben, daß die in jenem Berichte des Schulvorstandes erhobene Anschuldigung begründet ist. Er ist sehr oft in betrunkenem Zustande und taumelnd nicht nur in den letzten Jahren, sondern auch in dem letzten Jahre, von den Vernehmungstagen zurückgerechnet in den Straßen der Stadt, in vielen Fällen sogar schon an den Nachmittagen gesehen worden. Diese Wahrnehmungen der Zeugen finden sich in allen Protocollen über deren Vernehmung. Selbst, nachdem ihm von Seiten des hohen Ministerii die Eröffnung zugegangen war, daß das Disciplinarverfahren gegen ihn eingeleitet sei, sind solche Fälle, so am 2. September dieses Jahres und sogar am 31. August dieses Jahres, am Kinderfeste, vorgekommen. Auch hat der Bürgermeister Dr. Stegemann ihn nach mündlicher Mittheilung am 2. September taumelnd hinter dem Kinderwagen nach Hause kommen gesehen. In den letzten Wochen sind überhaupt die Fälle, in denen er betrunken nach Hause gekommen, häufiger geworden, wie die Zeugin Krüger angiebt. In den Wirthschaften wird er oft angetrunken oder gar betrunken gefunden. So ist es seit Jahren; seit Jahren haben seine älteren Collegen sich von ihm zurückgezogen, die neu eingetretenen nach Möglichkeit den Verkehr mit ihm gemieden. Außer mit der Familie des mit ihm verwandten Sattlers Albrecht hat er keinen Familienverkehr insbesondere. Es ist nicht nur schon dahin gekommen, daß der Kaufmann Mamerow ihm schon Vorhaltungen wegen seines Trinkens gemacht hat, sondern er ist sogar, weil er oft betrunken ist, aus den meisten Localen verwiesen. In der Folge verkehrt er in der Herberge zur Heimath, einem Locale, welches so, wie es in Neukalen hergerichtet ist, kein Ort des Verkehrs für einen Lehrer ist, und schließlich besucht er die an der Malchiner Straße belegene Wirthschaft des Gastwirths Zarpentin, von welcher er wußte, daß der sogenannte Arbeiterbildungsverein, eine im Anschluß an die letzte Reichstagswahl begründete Vereinigung mit socialdemokratischer Tendenz, dort seinen Sitz und Verkehr hat. Mit dem Schuster Jörss, dem Herbergswirth, steht er auf Du und Du, ja, er trinkt mit Handwerksgesellen Brüderschaft.

Ein solcher Verkehr und der allzu häufige und reichliche Genuß meist stark alkoholhaltiger Getränke beginnt, die ethischen Gefühle zu ersticken, den ehelichen Frieden zu zerstören. Nach einer Schulfeier am letzten Geburtstage des Kaisers erscheint er im Bäcker Andersschen Locale in offenbar schon angetrunkenem Zustande, er führt Reden unzüchtigen Inhalts und wird darauf von seinem dort anwesenden Collegen aufgefordert zu gehen, an die Hausthüre gebracht und entlassen, worauf er nach Hause wankt. Hier entsteht regelmäßig, wenn er betrunken nach Hause kommt, Lärm und Streit zwischen ihm und seiner Ehefrau.  Er vertrinkt sein Geld und läßt seine Familie darben. Sein körperliches Befinden hat bereits gelitten, er kann sich nur durch den Genuß starker Spirituosen aufrecht erhalten; der Trunk ist ihm zur Leidenschaft geworden; eine Entwöhnung ist ihm nicht mehr möglich.

Seine Leistungen als Lehrer, zu Anfang gute, sind im Laufe der Jahre zurückgegangen. Es ist ihm deshalb die bisher von ihm unterrichtete dritte Klasse abgenommen und ihm die vierte Klasse zugewiesen. Diese Maßregelung ist ohne Eindruck auf ihn geblieben. Seine Leistungen sind nach wie vor ungenügend. Er riecht immer nach Branntwein, wenn er in die Schule kommt; oft ist er angetrunken oder hat doch mehr getrunken, als er vertragen kann. Einmal ist er sogar betrunken und einmal so angetrunken gewesen, daß der Rector Oldach sich verpflichtet gefühlt hat, der Ertheilung des Unterrichts beizuwohnen. Ja, er ist schon in den dringenden Verdacht gekommen, während der Unterrichtsstunden Branntwein zu trinken. Die Namen der Eltern von Schulkindern, welche ihm solches angezeigt, erinnert der Pastor Voss nicht mehr. Auch in den Unterrichtspausen besucht er Locale.

Das in der Disciplinaruntersuchung beschaffte Beweismaterial, welches vorstehend in Kürze zusammengestellt ist, dürfte genügen, um der von dem hohen Ministerium zu treffenden Entscheidung zur Grundlage zu dienen, und darnach sich der Schluß der Untersuchung rechtfertigen.

In Ehrerbietung gehorsamst

Crull

Amtsrichter

Neukalen, den 17 September 1894."

 

Am 14. Dezember 1894 kam es wieder zu einem Vorfall mit dem Lehrer Kossow. Rektor Oldach berichtete:

 

"An den verehrlichen Schulvorstand hier.

Leider sehe ich mich genöthigt, dem verehrl. Schulvorstande hierdurch die Mittheilung zu machen, daß der Lehrer Kossow heute Morgen in so stark angetrunkenem Zustande in die Schule kam, daß ich die Schüler seiner Klasse bis um 10 Uhr entlassen mußte. Ich hätte letzteren Schritt vermieden, wenn ich den Lehrer Kossow hätte veranlassen können, das Schulhaus zu verlassen und nach Hause zu gehen.

Da der Lehrer Kossow nun ferner in Gegenwart der Lehrer und der Kinder arge Schimpfworte gegen mich gebraucht hat, so sehe ich mich nicht in der Lage, noch weiter mit demselben an der Schule zu amtieren.

Ich beantrage deshalb beim verehrl. Schulvorstande hierdurch ergebenst, daß der Lehrer Kossow vorläufig bis Neujahr von seinem Amte suspendiert werde. Die Vertretung werde ich dann anordnen."

 

Auf der sofort angesetzten Schulvorstandssitzung, an welcher die Herren Pastor Voss, Kaufmann Broder, Kaufmann Lange und Rector Oldach teilnahmen, wurde zuerst der Küster Kliefoth dazu befragt:

"Derselbe sagte aus, daß der Lehrer Kossow heute morgen schon in betrunkenem Zustande angekommen und zwar mit brennender Cigarre. Der Zustand war derartig, daß auch die Schulkinder merken mußten, daß der pp Kossow angetrunken. Auch habe Herr Kliefoth vernommen, daß er hinter dem Rector her die Aeußerung "Lump" gethan habe.

Herr Westphal, welcher demnächst vernommen wurde, bestätigte die von Herrn Kliefoth gemachten Aeußerungen und fügte hinzu, daß er auch von oben herab noch die Aeußerung "Du Lump" gehört hätte.

Der Rector gab darauf zu Protokoll, daß er den Lehrer Kossow zunächst aufgefordert, nach Hause zu gehen. Da diese Aufforderung nicht gefruchtet, habe derselbe sich veranlaßt gesehen, die Kinder der Kossow´schen Klasse zu entlassen. Dabei sei der p. Kossow dem Rector in die betr. Klasse nachgekommen, habe versucht, die Kinder zu halten, dann aber, da ihm dies nicht gelungen, zu wiederholten Malen mitten in der abziehenden Kinderschaar dem Rector "Du Lump" zugerufen. Nachdem sich der Rector und die Kinder dann entfernt, sei der Lehrer Kossow fortwährend vor den Fenstern der Rectorklasse mit brennender Cigarre auf und ab spaziert, bis Herr Pastor Voss auf des Rectors Ersuchen in´s Schulhaus kam.

Auch auf dessen Aufforderung, wenigstens den Platz vor den Fenstern der Klasse zu verlassen, gab Kossow zur Antwort, derselbe habe ihm nichts zu sagen.

Schließlich ist der Lehrer Kossow durch den Senator Kossow vom Schulplatz entfernt worden.

Der Schulvorstand beschloß, dem Gesuch des Herrn Rectors Oldach Folge zu geben und den Lehrer Kossow einstweilen vom Unterricht zu suspendieren und ihm dieses schriftlich mitzutheilen."

 

Ein entsprechendes Schreiben wurde aus Schwerin beantwortet:

 

"An den Magistrat in Neukalen.

Schwerin, den 7. Januar 1895

DC. dem Schulvorstande in Neukalen.

Das Großherzogliche Staats - Ministerium hat, nachdem ihm die Akten, betreffend die Disciplinaruntersuchung wider den Lehrer an der Stadtschule Christian Kossow daselbst mit dessen vom - geführten Personalakten vorgelegt worden sind, den von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzoge Allerhöchst genehmigten Beschluß gefaßt,

"daß der Lehrer Christian Kossow zu Neukalen wegen Trunkfälligkeit aus dem Lehramte zu entsetzen ist."

Der Magistrat wird hierdurch beauftragt, dem p. Kossow zu Protokoll den vorstehenden Beschluß mitzutheilen und ihm zu eröffnen, daß er in Gemäßheit dieses Beschlusses aus dem Lehramte entsetzt sei, auch darüber, wie dieses geschehen, binnen 8 Tagen zu berichten."

 

Damit war der Lehrer Christian Kossow von der Schule verwiesen und durfte auch nie wieder als Lehrer arbeiten.