Der vermeintliche Fischotter
Dr. Helge Nagel
Immer dann, wenn im Frühjahr das Boot noch nicht im Wasser war, mussten wir, um das schöne Wetter zu nutzen, auf das Schlauchboot zurückgreifen.
Das Schlauchboot auf- und abzubauen ist zwar eine aufwändige Angelegenheit, aber was tut man nicht alles für die ersten schönen Tage im Frühjahr. Und die Sonne meinte es gut mit uns an diesem 29. März 2005. Nach einer halben Stunde schwamm das Gummiboot auf dem Wasser. Der kleine 5-Ps-Motor wurde an den Spiegel geschraubt, Tank, Sitzkissen und Proviantrucksack verladen. Dann konnte die Fahrt beginnen.
Wie oft zu Ostern wehte ein eisiger, ziemlich starker Ostwind. Dick angemummelt, als sollte es eine Fahrt zum Eismeer werden, schipperten wir los. Schon die zwei Kilometer auf dem Kanal gestalteten sich zum Problem. Wir hatten die kleinen aber kantigen Wellen genau von vorn und es gab das erste Spritzwasser. Bei dieser Kälte konnte ich das meiner Frau, die vorn im Boot saß, natürlich nicht zumuten. Nur in ganz langsamer Tuckerfahrt gelang es, den See trocken zu erreichen.
Hier rollten von Ost Wellen schräg in die Ausfahrt hinein, die schon der Ostsee alle Ehre gemacht hätten. Bei dem Versuch, auf dem See hinauszufahren, gab es das zweite Spritzwasser. Wir waren uns schnell einig. In den geschützten Torfstich, die Neukalener werden das Gewässer kennen, konnten wir uns nicht wagen. Also umdrehen und landeinwärts ein ruhiges Plätzchen suchen. Das fand sich auch in einer kleinen Schilfecke. Dort war es einigermaßen windstill. Nur die vom See einlaufende, immer noch recht starke Dünung machte uns etwas zu schaffen. Aber damit konnten wir leben. Im Gegenteil, es war sogar romantisch. Hier wärmte uns die Sonne und in den noch blätterlosen Bäumen rauschte der Wind.
Richtig gemütlich wurde es aber erst zur Kaffeezeit. Die Ruderbank fungierte dabei als Tisch. Darauf breiteten wir alles aus was zum Kaffee nötig war. Das wirkte selbst auf diesem kleinen Boot schon beinahe wohnlich.
Eigenartigerweise, und das hatten wir in den vergangenen Jahren oft beobachtet, scheinen die Tiere es wahrzunehmen, wenn sich eine gelöste Stimmung aufbaut.
So war es auch an diesem Nachmittag. Zwei Stunden tümpelten wir schon in unserer Schilfecke als sich plötzlich ein Fischotter vom gegenüberliegenden Ufer ins Wasser gleiten ließ. Kleine Wellen verbreitend schwamm er auf unsere Kanalseite und kletterte ungefähr zehn Meter vom Boot entfernt an Land. Das erste was uns auffiel als er aus dem Wasserstieg, sein Fell war sofort wieder trocken. Besonders groß war er nicht, was uns aber nicht verwunderte, haben doch Fischotter fast zu allen Zeiten im Jahr Junge. Die zweite Auffälligkeit war seine Farbe. Er war nicht braun sondern schwarz. Na ja, vielleicht eine Farbvariante, das könnte schließlich vorkommen.
Behänd kletterte er über Wurzeln, Äste und umgestürzte Baumstämme. Dabei näherte er sich mehr und mehr unserem Boot. Auch das war nicht neu, denn Fischotter sind neugierig. Besonders im Frühjahr, wenn es über das Winterhalbjahr lange keinen Bootsverkehr gegeben hat, müssen sie unbedingt erkunden, was es Neues in ihrem Revier gibt.
Hinter uns war ein Baum aufs Land gestürzt, welcher mit seinen Wurzeln fast bis zum Boot reichte. Der Stamm war für den Fischotter inmitten des Gewirrs aus Ästen und dürren Pflanzen ein bequemer Weg. Auf diesem Stamm pirschte er sich vorsichtig an unser Boot heran. Wir verdrehten uns fast die Halswirbel, den Körper zu drehen wagten wir nicht.
Bis auf drei Meter näherte er sich dem Schlauchboot. Wir trauten uns kaum zu atmen. Aufmerksam beäugte er uns, dabei sahen wir ihn genau von vorn. Es zeigte sich die dritte Auffälligkeit. Der vermeintliche Fischotter hatte eine weiße Nase. Irgendwie bewegte er sich auch etwas graziler als man das vom Fischotter gewohnt ist, die ersten Zweifel stellten sich ein.
Das edle Pelztier wendete auf dem Stamm und entfernte sich ohne Eile. Bloß gut. Länger hätten wir auch unsere Hälse nicht mehr so extrem verdrehen können. Der Fischotter, so möchte ich ihn noch nennen, turnte in Richtung See davon. Manchmal tauchte er im Gestrüpp unter, meist war er gut zu sehen. Geschmeidig glitt er an der Stelle, wo er an Land gekommen war, wieder ins Wasser, überquerte den Kanal und verschwand auf der anderen Seite im Schilf.
Was war das für ein Tier? Es bereitete etwa Unbehagen einzugestehen, dass ich nicht wusste, was ich soeben beobachtet hatte. Bis dahin war ich mir sicher gewesen, alle größeren Tiere am und im See zu kennen.
Jedenfalls an Ort und Stelle war das Tier nicht zu bestimmen, dazu brauchte ich meinen Bücherschrank.
Obwohl die Sonne um diese Jahreszeit schon relativ hoch steht, wurde es gegen Abend unangenehm kalt. Wir lösten die dünnen Strippen, die ich extra für derartige Buscheinsätze am Schlauchboot habe und fuhren die zwei Kilometer nach Neukalen zurück. Im Hafen setzte ich meine Frau wegen der Kälte an Land.
Auf der Suche nach einem ruhigen Liegeplatz für den nächsten Tag, raste ich noch schnell fünf Kilometer in Richtung Teterow. Durch den hohen Wasserstand hätte ich mich dabei nach einem Steuerfehler um ein Haar auf der Wiese wiedergefunden. Die Suche ergab nichts, ich fuhr zurück und baute das Boot ab.
Das abendliche Literaturstudium brachte dann Gewissheit. Auch diesmal war es wieder mein heißgeliebter Wirbeltier - Stresemann, in dem dazu überhaupt etwas zu finden war.
Unter der Gattung Wiesel (Mustela) entdeckte ich lediglich zwei Tiere, die in Frage kamen. Einmal den amerikanischen Nerz, auch als Mink bezeichnet, und den mittel-, bzw. osteuropäischen Nerz. Zieht man noch Größe, Farbe und die weiße Oberlippe in Betracht, müsste es sich um einen europäischen Nerz (Mustela lutreola) gehandelt haben.
Wir hatten also am Nachmittag einen Nerz beobachtet. Schön und gut, Aber wie kommen Nerze an unseren See? In Deutschland jedenfalls sind sie schon lange ausgestorben.
Eine Erklärung war nötig und sie fand sich auch. Durch Zufall erfuhr ich wenig später, es hätte in unserer Gegend eine Pelztierfarm gegeben.
Sumpflandschaft in Mecklenburg / Vorpommern.
Ungefähr hier war unser Liegeplatz.
Die Umgebung ist wildromantisch.
Blick auf den See hinaus.
An dieser Stelle glitt der Nerz ins Wasser.
Das kleine Torfgewässer an der Peene.
Ein Blick zurück.