Der Sündenfall des Kantors Sarcander
Wolfgang Schimmel
Für reichlichen Gesprächsstoff in Neukalen sorgte vor vielen Jahren August Friedrich Sarcander, der seit 1746 als Kantor und Organist angestellt war. Seine Frau hatte ihn aus unbekannten Gründen verlassen, und Kantor Sarcander suchte die fehlende Liebe bei seinem Dienstmädchen zu finden. Die Folgen blieben nicht aus. Catharina Maria Luckstedt bekam 1751 ein uneheliches Kind. Die Empörung im Städtchen war groß. Ein Mann, der die Kinder im christlichen Sinne erziehen sollte, führte ein unsittliches Leben!
Pastor Jacob Sigismund von Suckow hatte doch etwas Mitleid und Verständnis für seinen Kantor. Er sah in einer Beurteilung des Kantors auch dessen gute Seiten und gab der später reumütig zurückgekehrten Ehefrau eine gewisse Mitschuld, nachdem sie dem Pastor erklärt hatte, "sie wolle sich von ihrem Ehemann, auch durch diese Vergehung deßelben, nicht wieder trennen, vielweniger aber scheiden laßen, sondern vielmehr, wie sie, bey ihrer Vertrauung, Gott angelobet: Glück und Unglück mit ihrem Manne tragen, so lange sie lebte."
Kantor Sarcander hätte fast sein Amt verloren. Er war aber zur Buße bereit und bat - wenn es erlaubt sei - öffentlich in der Kirche vor die versammelte Gemeinde treten zu dürfen und um Entschuldigung und Versöhnung zu bitten. Pastor von Suckow setzte sich sehr für seinen Kantor ein, wobei er ihn als tüchtigen Lehrer pries. Kantor Sarcander schrieb einen Brief an den Herzog, der am 9. September 1751 in Schwerin einging. Er bat flehentlich um Verzeihung:
"EW: Hertzogl. Durchl: falle ich als ein betrübter niedergeschlagener Sünder unterthänigst wehmüthigst zu Füßen, und bitte um huldreiche Verzeihung eines Verbrechens, wozu mich die Einsamkeit und eingebildetes Selbstvertrauen nebst der Schmeichelung eines Weibesbildes verleitet. Es muste sich zu meinem Unglück schicken, daß zwischen mir und meiner Frau einiges Mißverständniß fürgefallen, worüber sich dieselbe zu ihren Eltern retirirte. Innerhalb derselben Zeit befand [ich] mich in solchen Zustand, daß ich nicht mehr wußte, was ich beginnen sollte. Ich war voller Unmuth, und suchte Gesellschaft, da ich aber wieder allein, so ward [ich] einst von der Thorheit übermannet, mich denen Reitzungen eines Hauß - Mädchens zu ergeben. Die confuse Lebensart benahm mir alles Nachdencken, welches mir anitzt unzählige Thränen gekostet. Ich steh in Sorgen mein Cantorat zu verliehren, und noch darzu hart gestraft zu werden; möchte derohalben in Verzweiffelung gerahten, wenn mich nicht einige gute Gemühter aufgerichtet, daß ich den begangenen Fehler vermittelst göttlicher Hülffe, durch exemplarische Beßerung aussöhnen könte. Meine Frau hat mir verziehen, und nach unter uns gestifteten Vertrag ehelich beygewohnet. Es würde mir unerträglich seyn, wann sie durch mich unglücklich gemacht werden solte. Wir haben bereits drey Kinder mit einander erzeüget, und mit dem vierten gehet sie schwanger. Sie erkläret sich demnach mich nicht zu verlaßen.
Nur kömmt die gantze Sache auf Ew: Hertzogl: Durchl: huldreichstes Gnaden - Wort an. Ich habe gesündiget, ich bereüe es mit gebogenen Knien. Ich will nächst Verleihung göttl: Gnade mich beßern. Meine angehörige Eltern und Schwiegereltern, werden mir göttl. Beystand erbitten helffen. Ach! wie leid ist es mir, daß ich dieselbe so sehr betrübet, ich wolte ungern, daß Sie durch mich beschimpffet würden..."
Seine Frau schrieb ebenfalls einen Bittbrief an den Herzog, und so durfte Kantor Sarcander seine Stellung behalten. Einige Jahre später gab es aber erneut einen Vorfall, der ihm letztendlich sein Schulamt und wohl auch das Leben kostete. 1759 wurde dem Kantor vorgeworfen, mit der Catharina Meyer, die in Schlakendorf diente, ein unzüchtiges Leben geführt zu haben. Folgendes war laut einem Bericht passiert:
"Da Trin Meyern in dem Garten zu Carnitz gewesen, um Wurtzeln auszuziehen, kommt der Cantor in die Thüre, die am Garten ist, und sagt, daß in ihrem Hause sehr über sie gerufen würde, und sie also geschwinde einkommen solte. Wie sie nun eilet und durch die Thüre gehen wil, so faßet er sie an. Sie bittet, daß er sie gehen laße. Er aber hält sie veste und greift sie in den Busen. Da nun bey diesem Umstande ihr Wurtzeln aus der Schürtze gefallen, und sie dieselben aufnehmen wil, so greift er derselben unter dem Rocke. Weil sie aber sich ihm wiedersetzet, kommt er nur bis an die Knie. Bey dieser Handlung tritt ein Mädchen in die Thüre, Namens, Trin Weigers, und siehet solches. Da erschrickt er, und wie das Mädchen weggehet, sagt er zu Trin Meyern: solte das Mädchen es auch wol nachsagen? Da sie nun antwortet, daß sie solches nicht verschweigen würde, ist er nach den Garten gegangen, und Trin Meyern nach Hause. Da nun das vorige Mädchen die Sache schon im Hause erzehlet, und Trin Meyern darnach befragt wird, bekennt sie es auch."
Das war zuviel für den sittlichen Anstand. Eine Untersuchung des Vorkommnisses erfolgte nun. Kantor Sarcander stritt anfangs alles ab, dann stellte er es als Scherz hin, doch schließlich bekannte er seine Missetat und bat um Gnade für sich, sein stets krankes Eheweib und die vier unmündigen Kinder. Der Fall wurde vor dem Consistorium in Rostock verhandelt. Im Urteil vom 13.10.1759 heißt es: " ... daß er wegen seiner strafbahren Vergehungen seines Dienstes entsetzet sey, mithin er des weiteren Predigens wie auch der Schulhaltung sich zu enthalten, und binnen einer Zeit von 6 Wochen die Schul Wohnung zu räumen habe."
Kantor Sarcander schrieb an den Herzog:
"Durchlauchtigster Hertzog,
Gnädigster Hertzog und Herr!
Ich erkenne weh- und demüthigst vor Gott und Ew. Hertzogl. Durchl. mein hartes Vergehen, welches mir als einem Christen noch weniger aber als einem Lehrer angestanden auszuüben, mithin gantz gerecht, daß ich dieserhalb soll bestraffet werden. Da aber mein Verbrechen mir recht hertzlich leid und reuend ist, auch deshalb zu Gott und Ew. Hertzogl. Durchl. mit bittren Thränen unabläßlich um Gnade und Vergebung bitte; So hoffe demuthsvoll um des unschuldigen und vor mein und aller Welt - Sünde erwürgten Lammes Willen, Gnade, Vergebung, Hülffe und Erbarmung zu erhalten, und zwar um so mehr, als ich durch des heiligen Geistes Kraft und Beystand meine Vergehung in wahrer Buße und Belehrung ernstlich verbeßern und eines eifrigen Christen Wandels mich befleißigen werde. Zufolge dieses wahren Vorsatzes, lebe der ungezweifelten Hoffnung, der Allertheureste Heyland werde das hohe Hertz Ew. Hertzogl. Durchl. zu einem gnädigen Mitleyden und Erbarmen gegen mich, weit mehr aber gegen meiner armen Frauen und 4 unschuldigen kleinen Kindern, als welche Hungers umkommen müßen, und dieserhalb um Gnade zu Gott und Ew. Hertzogl. schreyen, liebreichst bewegen, wie denn der Allergetreuest Immanuel weit mehr Freude über einem Sünder der Buße thut, bezeiget, als über 99 gerechte die der Buße nicht bedürffen.
Dannenhero werffe mich in solcher Reue und tiefen Schmertz vor Ew. Hertzogl. Durchl. in tiefster Devotion fußfällig darnieder und flehe Dieselben in höchster Grace an, Sie wollen gnädigst geruhen:
Mir meines Vergehens halber die wohl verdiente Straffe gnädigst nachzulaßen und zu schenken und um Christi willen mir samt Frau und Kindern nicht zu verstoßen, sondern aus lauter Gnade und Erbarmen im Amte zulaßen.
Ich dagegen gelobe und verspreche vor Gott und Ew. Hertzogl. Durchl. durch die Gnade Jesu Christi, die an mir nicht vergebens seyn wird und in der Kraft des Heiligen Geistes mich führohin vor Sünden zu hüten, eines Gott seeligen Lebens und Wandels mich zu befleißigen und überhaupt zum wahren Hirten und Bischof der Seelen, meinem theuresten Heylande, als der in das innerste meines Hertzens siehet, ernstlich und eifrigst mich zu bekehren und zu beßern.
Ich getröste mich Gnädigster Erhöhrung und ersterbe in profondester Devotion
Ew. Hertzog. Durchl.
unterthanigster
Aug. Fried. Sarcander
Neuenkalden
den 19ten Nov. 1759"
Nichts half mehr. August Friedrich Sarcander mußte Neukalen verlassen. Er zog wahrscheinlich nach Malchin, ist aber bald verstorben, denn 1760 wohnte seine Witwe Elisabeth Dorothea Sarcander, geb. Sigesmundi mit den Kindern bettelarm in Malchin bei ihrem Vater, dem Pastor Sigesmund.