Erste Bürgermeisterin Leonore Gleichmann
Neues von Presse Heinz: Mahlzeit Freunde!
Endlich Regen, also keine Freiluftaktivitäten. Für alle die unser Heimatblatt, den Generalanzeiger, nicht bekommen, haben wir jetzt unseren Beitrag für Euch hier auf dieser Seite. Es geht um unsere erste Bürgermeisterin nach der politischen Wende 1989, um Leonore Gleichmann. Sie war von Februar bis Juni 1990, zusammen mit Frau Lange, erste Frau im Ort. Im Gedenken an Sie und auch an den 17.6.1953 sind diese Zeilen gewidmet. Nehmt Euch die Zeit, es ist eine Menge Text, aber versprochen, er ist sehr interessant.
Sie starben für die Freiheit
Drei Mediziner schlossen sich nach dem 17. Juni 1953 zu einer Widerstandsgruppe zusammen. Zwei wurden hingerichtet. Der Zahnarzt wollte nicht sterben. Um 4.20 Uhr wurde er gefesselt und dem Scharfrichter übergeben. „Bei der Übergabe versuchte er Schwierigkeiten zu machen und schrie das Wort, “Freiheit‘“, vermerkt lakonisch das Hinrichtungsprotokoll. „Er wurde überwältigt und das Urteil vollstreckt.“ So geschehen am 16. Mai 1956.
„Dieser Mann war ein Freiheitskämpfer“, urteilt heute der Rostocker Dr. Fred Mrotzek von der Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Geschichte der Diktaturen an der Universität Rostock. Der Name des Hingerichteten war Joachim Flegel († 25). Er gehörte zu einer Gruppe von drei Zahnärzten aus Mecklenburg, Vorpommern und Brandenburg. „Junge Leute, die nach dem blutig niedergeschlagenen Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 etwas gegen das DDR-Regime unternehmen wollten“, erzählt Mrotzek.
Die drei Mediziner, Joachim Flegel aus der Stadt Brandenburg, Horst Klinger aus Binz (Rügen, † 28) und Leonore Gleichmann († 67, verstorben 1994), die an der Volkswerft Stralsund als Zahnärztin tätig war, kannten sich vom Studium an der Humboldt-Universität in Berlin in den Jahren 1952-54. Sie hatten Kontakt zum englischen Geheimdienst, dem sie Informationen über sowjetische Panzer, Schiffe und dergleichen lieferten. Zwei von ihnen bezahlten das mit dem Leben. Nur Leonore Gleichmann überlebte. „Vermutlich, weil sie Halbjüdin war“, so Mrotzek. „Die Familie war im Dritten Reich verfolgt worden. Unter diesen Umständen hat man wohl von der Todesstrafe abgesehen.“
Die Hinrichtungsprotokolle, die mit den umfangreichen Vernehmungs- und Gerichtsakten in der Behörde für die Stasi-Unterlagen in Schwerin liegen, offenbaren die ganze Tragik des Schicksals der jungen Widerständler.
Leonore Gleichmann stammte aus einer Berliner Kaufmannsfamilie, „aus großbürgerlichen Verhältnissen“, wie es in den Akten heißt. Am 17. Juni 1953 habe sie ihre Studienkollegen aufgefordert, „die Arbeit einzustellen und mit auf die Straße zu gehen“. Sie sei „als Rädelsführerin aufgetreten“. Von Joachim Flegel und Horst Klinger ist nicht bekannt, inwieweit sie an diesem Tag aktiv waren.
„Möglicherweise haben sie bei der Vernehmung eine Teilnahme geleugnet, um sich nicht zusätzlich zu belasten“, vermutet die Schweriner Stasi-Archivleiterin Kathrin Witt (49).
Joachim Flegel, der verheiratet war und bereits ein Kind hatte, war der erste, der offenbar schon 1952 in West-Berlin Kontakt zum britischen Geheimdienst aufnahm. Wie die Ermittler behaupten, nicht zuletzt des Geldes wegen: Flegel habe als Kurier Nachrichten überbracht, pro Auftrag erhielt er zwischen 100 und 200 Westmark. Er war es auch, der seinen Studienfreund Horst Klinger ansprach, ob er nicht mitmachen wolle. Dieser war ab 1953 ebenfalls für die Briten tätig. Seit 1954 war Klinger Zahnarzt im Range eines Oberleutnants bei der Kasernierten Volkspolizei (KVP), dem Vorgänger der Nationalen Volksarmee (NVA) in Prora (Rügen). Von dort lieferte er Berichte über Personal und Fahrzeuge.
Die Treffs mit den Mittelsmännern der Briten in Berlin fanden im „Berliner Kindl“ oder im „Prälat“ in der Budapester Straße statt. Die Engländer interessierte auch, welche Gasmasken die KVP hatte und wie es um den Umgang mit der atomaren Bedrohung stehe. Klinger besuchte daraufhin in Leipzig einen Vortrag über Atomschutzmaßnahmen, von dem er berichtete.
Die Gruppe versuchte zudem, weitere „Spione“ anzuwerben. Darunter einen Physiker mit dem Decknamen „Mott“. Dieser berichtete über „Vorgänge“ in Rostock und an der Uni Greifswald. Er traf sich auch mit Klinger in Rostock, wo sie gemeinsam Fotos machten.
Alle Beschuldigten seien „geschworene Feinde der Deutschen Demokratischen Republik und des Weltfriedenslagers“, heißt es in den Akten. Am entschiedensten kommt die Regimegegnerschaft bei Leonore Gleichmann zum Ausdruck, die eine Bezahlung für ihre Spionage-Dienste kontinuierlich ablehnte. Sie stieß im November 1953 zu der Gruppe, indem sie Joachim Flegel direkt ansprach.
1955, kurz vor der Verhaftung, wurde Klinger, dessen Frau inzwischen hochschwanger war, die Mitarbeit anscheinend zu gefährlich. Er besuchte Leonore Gleichmann in Stralsund und „gab ihr zu verstehen, dass er seine Agententätigkeit einstellen würde“. Leonore Gleichmann forderte ihn zum Durchhalten auf. „Sie erklärte ihm, dass sie doch beide ihre Feindtätigkeit begonnen hätten, um die in der DDR bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern.“ Klinger ließ sich überreden.
Im Mai 1955 wurden alle drei verhaftet, ein Stasi-Mitarbeiter namens „Fritz“ hatte sie verraten. Klinger erhielt sein Todesurteil wegen „Boykotthetze“ im November. Flegel bekam erst 15 Jahre, dann wurde sein Urteil in die Todesstrafe abgeändert. Die Gnadengesuche lehnte Wilhelm Pieck ab. Der dreijährige Sohn Joachim Flegels und seiner Frau Waltraut lebte nach der Verhaftung der Eltern bei der Schwester der Frau in Dresden.
Zusammen mit den drei Zahnärzten wurden insgesamt 19 Personen verhaftet. Darunter die Ehefrauen von Klinger und Flegel, die wegen Mitwisserschaft zwischen ein und zwei Jahren Gefängnis erhielten, zudem Klingers Mutter Berta, der Physiker sowie zwei Schweriner Verkäuferinnen. In der „Nordquelle“ in der Schweriner Stalinstraße hatte Klinger versucht, zwei weitere Agenten anzuwerben, die ebenfalls verhaftet wurden.
Aus den Hinrichtungsprotokollen ergibt sich, dass die beiden Todeskandidaten vor der Vollstreckung Bleistift und Papier erhielten. „Die Abschiedsbriefe wurden aber nie zugestellt“, weiß Mrotzek, der nicht sicher ist, ob die Kinder der Hingerichteten jemals die Wahrheit über ihre leiblichen Väter erfuhren. Zumal Flegels — offenbar sehr regimetreuer — Dresdner Schwager äußerte „dass es zu Recht besteht, das Spione, und der Schwager sei ein Spion gewesen, zum Tode verurteilt werden“.
Die Angehörigen wurden nach der Hinrichtung zunächst nicht informiert. Flegels Frau erfuhr erst auf Nachfrage Monate später davon. Seine Mutter erhielt einen Totenschein, auf dem als Todesursache „Pneumonie“ angegeben war.
Die aus politischen Gründen verurteilten jungen Widerstandskämpfer, deren Schicksal dem der Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ im Dritten Reich ähnelt, wurden nie rehabilitiert, so Mrotzek. Zu Unrecht. In seinen letzten Zeilen vor der Hinrichtung schreibt Horst Klinger: „Die Ereignisse des 17. Juni 1953 haben mich damals als Student (...) zutiefst bewegt. In der Folgezeit geriet ich in die Netze des Geheimdienstes — da ich im Glauben war (...) etwas für ein gutes Deutschland tun zu können.“
Marcus Stöcklin, Lübecker Nachrichten 15.6.2015
Wir lassen die Worte wirken, wir werden sie auch nicht bewerten. Eine gute journalistische Arbeit. Wir haben nach Parallelfällen geschaut, wo die jüdische Herkunft vor Strafe geschützt hat, vergebens. Vielleicht kann ja der eine oder andere Leser zu diesem Thema etwas beitragen.
Die Wege von Frau Dr. Gleichmann und der Peenestadt Neukalen kreuzten sich dann 1963.
Als 1958 eine Zahnstation in den oberen Räumen des ehemaligen Landambulatoriums eingerichtet wurde, war das für die Neukalener Bevölkerung eine große Erleichterung. Viele brauchten nicht mehr nach Malchin zu fahren. Der damals ansässige Zahnarzt Dr. Döring arbeitete aus gesundheitlichen Gründen nur noch stundenweise.
Die zahnärztliche Versorgung wurde zunächst von der Kreispoliklinik übernommen. Sprechstunden fanden anfangs nur 4 Tage pro Woche mit 4 Zahnärzten statt. Leider konnte sich keiner der Zahnärzte dazu entschließen, ganz in Neukalen zu bleiben. Erst 1963, als die Berliner Zahnärztin Leonore Gleichmann nach Neukalen zog und die Stelle übernahm, war das Problem gelöst. Sie hatte sich gleich in das verträumte Städtchen an der Peene verliebt und wurde von der Bevölkerung herzlich aufgenommen. Die Patientenzahl stieg rasant, denn sie war eine arbeitsfreudige, fleißige und lebensfrohe Zahnärztin. Sie liebte die Natur und setzte sich auch sehr dafür ein. Die Natur, ob Pflanze oder Tier, zu erhalten war ihr Lebensinhalt. Da sie nicht verheiratet war, war ihr Beruf ihre Familie. Der kollegiale Zusammenhalt im Landambulatorium war sehr angenehm. Es machte die Arbeit trotz der starken beruflichen Belastung viel Spaß. Besonders der gute Kontakt zu den Patienten lenkte ab von den Schwierigkeiten, wie zum Beispiel dem Mangel an zahnärztlichen Materialien und Instrumenten. Ich erinnere mich auch noch an den ersten Behandlungsstuhl mit Handbedienung. Es war schon ein Kraftakt, bevor der Patient in der richtigen Position lag.
Ihr größtes Anliegen war eine gute zahntechnische Versorgung der Patienten. Sie schaffte es, trotz vieler Schwierigkeiten, einen Neubau vor Ort zu errichten, der 1977 fertig wurde. So konnte auch eine zweite Zahnarztpraxis eröffnet werden, die von Frau Gisela Luck geführt wurde.
Zur Zeit der Wende 1989 / 1990 beteiligte sich Frau Gleichmann sehr aktiv am politischen Geschehen in Neukalen. Sie war Mitglied der "Bürgerinitative" und nahm an den Sitzungen des "Runden Tisches" im Auftrage der SPD teil. Als sich niemand für das Bürgermeisteramt finden wollte, übernahmen Frau Gleichmann und Frau Lange ab 1.2.1990 diese Aufgabe bis nach der ersten freien Wahl (6.5.1990) und gab dann am 8.6.1990 das Amt an Herbert Wilke ab.
Frau Gleichmann war ein geselliger Mensch, besonders zum Carneval ließ sie es ordentlich krachen. Für unsere jüngere schwer vorstellbar. Wir denken dabei an ihre eher “rustikalen“ Behandlungsmethoden. Aber sie hatten Erfolg, sie war eine “Zahn-Handwerkerin“, eine wirkliche Meisterin in Ihrem Fach und auf Ihre Art.
Leider erkrankte Frau Gleichmann sehr früh und starb mit nur 68 Jahren am 24.7.1994.
16. Mai 1956 Horst Klinger
Po BG Schwerin [34]
Zahnarzt der Volkspolizei; wegen Spionage (Art. 6 der Verfassung) zum Tode verurteilt.
16. Mai 1956 Joachim Flegel
Po BG Schwerin [35]
Zahnarzt der Volkspolizei; wegen Anwerbung von Klinger für den britischen Geheimdienst zunächst zu 15 Jahren Freiheitsstrafe, dann nach Kassationsantrag des Generalstaatsanwalts zum Tode verurteilt.
Todesliste, Wikipedia
Bild zur Meldung: Leonore Gleichmann