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Ein ganzes Dorf steht auf der Bühne

Neukalen, den 02.12.2014

Annegret Oswald ist als Bäuerin eine praktisch veranlagte Frau. Doch die wichtigste Erfahrung ihres Lebens ist, den Wert der Gemeinschaft zu kennen. Dieses Gut zu hegen und der jungen Generation zu vermitteln, gelingt in Kämmerich auf eine sehr eigene Weise.

 

Kämmerich. Hinter der Bühne ist es richtig kalt. Während das Publikum davor durch die Stände und das Festzelt gegen den eisigen Ostwind abgeschirmt ausharrt, warten die Akteure in der frostigen Luft auf ihren Auftritt. Das Bibbern kann ihre Stimmung nicht trüben. Vielmehr tanzen und wirbeln sie dann um so toller, schon allein um sich so aufzuwärmen. Nur Dennis Pfitzner trifft es hart. Er spielt einen Touristen, der die Welt bereisen möchte – in kurzer Hose und mit nackten Waden. Das Spiel der Kämmericher zu ihrem Weihnachtsmarkt hat Tradition. Daran hat Annegret Oswald emsig und über Jahrzehnte mitgewirkt. Sie wird hier als die gute Seele angesehen, wenngleich sie tunlichst bemüht ist, nirgends auffallend in Erscheinung zu treten. „Das Wichtigste ist doch, dass wir es schaffen, die Kinder und jungen Leute einzubeziehen. Die wachsen da rein und bringen ihre Ideen mit, so wie wir vor 30 Jahren“, lautet ihr Credo. Das funktioniert. Einige Hundert Besucher aus einem größeren Umkreis sind auch in diesem Jahr wieder gekommen, um das Spiel zu sehen. Dicht gedrängt um die Bühne geschart, sich gegenseitig wärmend harren sie aus - lachen, klatschen, schunkeln. Es ist ein wahres Feuerwerk, was die Dorfbewohner ihren Gästen bieten. Die Welt gibt sich ein Stelldichein. Denn für jedes potenzielle Reiseziel des unentschlossenen Möchte-Gern-Weltenbummlers gibt es eine Show-Einlage. Da rauchen die Colts im Wilden Westen, stampfen russische Matrjoschkas, tanzen indische Tempeltänzerinnen... Als nach einer Stunde die Show zu Ende geht, ist hier noch längst nicht Schluss. Die Besucher nutzen die Pause, um ein heißes Getränk zu schlürfen, sich die Füße zu vertreten, etwas zu knabbern. Die Spieler wärmen sich in einer benachbarten Garage etwas auf. Nur Dirk Oswald ist im Stress. Eben war er noch als bärtiger Gaucho mit Sombrero auf der Bühne, jetzt soll er die Müllerin in „Rumpelstilzchen“ geben. Das heißt der Bart muss ab, ehe er in das andere Kostüm schlüpft. Während er sich das Gesicht schabt erzählt er, dass er gerade aus den USA heimkehrte. „Vor einer Woche war ich noch in Los Angeles. Am Pazifik hab‘ ich meine Rolle gelernt, sonst hätt‘ ich heut wohl nicht mitspielen können.“ Ein verrückter Kerl? „Nein“, widerspricht Dennis Pfitzner. „Wir sind hier alle so.“ Alle meint der junge Mann wörtlich. Von den 110 Dorfbewohnern spielen diesmal 41 mit. Jeglichen Alters von fünf bis 55. Die anderen helfen vor und hinter der Bühne. Warum das so ist, dafür hat Annegret Oswald eine plausible Erklärung. „Unsere Vorfahren kamen als Flüchtlinge aus Besarabien. Sie hatten nicht viel. Ihr wertvollstes Gut war der Gemeinschaftsgeist, der Zusammenhalt in schwierigen Zeiten.“ Dieses Erbe haben die Kämmericher bewahrt. Da wird nicht viel geredet. „Wer ein Mann ist und laufen kann, ist hier in der Feuerwehr“, verrät Dennis Pfitzner. Und da schließt sich immer irgendwie ein Kreis in der kleinen Gemeinschaft. Denn Feuerwehr heißt auch Probenraum für die Spieler. Einen Kulturraum gibt es hier nicht mehr. Also wird das Auto vor die Tür geschoben, um nicht unter freiem Himmel zu sitzen. Und noch etwas ist besonders hier. „So einen richtigen Chef, den haben wir nicht. Das läuft alles im Team“, verrät Dirk Oswald.

 

Quelle: Nordkurier

e.rogmann@nordkurier.de

 

Bild zur Meldung: Annegret Oswald ist die Seele der „Kämmericher“. FOTOS (3): EBERHARD ROGMANN

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Weihnachtsmark in Kämmerich (29.11.2014)